11. Februar 2013: Als Benedikt die Welt schockierte

Vor einem Jahr, am 11. Februar 2013, hat Papst Benedikt XVI. einen Schritt gesetzt, von dem bis dahin viele nicht einmal wussten, dass er möglich war: Mit der Ankündigung seines Rücktritts schockierte der Papst nicht nur die Kirche, sondern verblüffte die ganze Welt.

In den Redaktionen der italienischen Medien hatte der 11. Februar 2013 - ein grauer Montag - eher unspektakulär begonnen. Politische Nachrichten zum italienischen Wahlkampf, bedrückende Meldungen über die Wirtschaftsrezession in Italien, wenig aufregendes Tagesgeschehen. Doch plötzlich schlug eine journalistische Bombe ein - Papst Benedikt XVI. kündigte seinen Rücktritt an.

Auf den Bildschirmen mit den Agenturmeldungen war plötzlich eine Alarmmeldung der italienischen Nachrichtenagentur ANSA aufgetaucht. „Papst gibt Pontifikat zum 28. Februar ab“, heißt es auf der um 11.46 Uhr gesendeten Meldung, die sich wie ein Lauffeuer um die Welt verbreitete.

Fassungslosigkeit bei Journalisten

Fassungslosigkeit taucht auf den Gesichtern der Journalisten auf, die in den Redaktionen als erste die Meldung lasen. Konnte es wahr sein? Trat der Papst wirklich zurück? Die „Vaticanisti“, die Vatikan-Experten der römischen Redaktionen, stürzten ans Telefon, um vom Papst-Pressesprecher Federico Lombardi eine Bestätigung einzuholen.

Zwar wusste jeder vom angeschlagenen Gesundheitszustand Benedikts XVI. Doch dass der Papst ausgerechnet ein relativ anonymes Konsistorium für die Seligsprechung zweier süditalienischer Märtyrer wählen würde, um seinen Rücktritt anzukündigen, ließ auch die erfahrensten Reporter in Rom sprachlos werden.

Lateinkenntnisse gefordert

Die Tatsache, dass Benedikt seine spektakuläre Ankündigung auf Latein machte, sorgte für Verunsicherung. Dank ihrer Latein-Kenntnisse konnte die italienische ANSA-Journalistin Giovanna Chirri als Erste die Rücktrittsankündigung des Papstes verstehen. Nicht nur in Italien, sondern weltweit bescherte diese Tatsache der seit fast 20 Jahren als Vatikan-Reporterin arbeitenden Römerin große Anerkennung.

„Zuerst hat der Papst die Formeln für die Märtyrer vorgelesen, dann hat er begonnen, feierlich auf Latein zu sprechen“, so die Journalistin gegenüber der APA. „Ich habe verstanden, dass er zurücktritt, aber ich wollte es nicht glauben. Es war unglaublich überraschend und hat mich sehr traurig gemacht. (...) Ich habe versucht, eine Bestätigung zu erhalten, und als die kam, konnte ich die Nachricht nur mit zitternden Knien tippen.“ Eigentlich sei ihr Latein gar nicht so toll, so Chrri weiter, „aber die Botschaft war doch klar und die versteinerten Gesichter der Kardinäle sprachen Bände.“

Papst Benedikt XVI. im Profil

APA/EPA/Osservatore Romano/Handout

11. Februar 2013: Benedikt XVI. verkündet seinen Rücktritt

Fast ohne Präzedenzfall

In der Kirchengeschichte war bis zu diesem Zeitpunkt erst ein einziger Papst aus freien Stücken zurückgetreten: Cölestin V., der 1294 gewählt wurde, legte den Petrusdienst schon nach wenigen Monaten aus Gewissensgründen zurück. Auch deshalb wird Benedikts Rücktrittsankündigung in die Geschichte eingehen: „Nachdem ich wiederholt mein Gewissen vor Gott geprüft habe, bin ich zur Gewissheit gelangt, dass meine Kräfte infolge des vorgerückten Alters nicht mehr geeignet sind, um in angemessener Weise den Petrusdienst auszuüben“, hieß es in der Rücktritterklärung.

Obwohl der Papst in seiner Mitteilung klar hervorhob, dass er wegen des fortgeschrittenen Alters sein „Unvermögen“ anerkennen müsse, den ihm anvertrauten Dienst nicht länger zufriedenstellend ausüben zu können, kursierten etliche Gerüchte über die vermeintlich wahren Hintergründe des völlig überraschenden Papst-Beschlusses. Der Rückzug des 85-jährigen Joseph Ratzinger sei nicht nur altersbedingt, sondern den Machtintrigen in der Kurie zuzuschreiben, die für den Papst vor allem nach dem aufsehenerregenden Vatileaks-Skandal unerträglich geworden seien, berichteten Vatikan-Insider.

Gänswein: „Nein, Heiliger Vater, das geht nicht“

Wie ungewöhnlich die Entscheidung Benedikts tatsächlich war, zeigen auch die Erzählungen seines Privatsekretärs Georg Gänswein ein Jahr danach: In einem Interview mit der italienischen Zeitschrift „Famiglia cristiana“ sprach Gänswein über seine erste Reaktion auf die Rücktrittsankündigung: „Instinktiv“ habe er zunächst gesagt „Nein, Heiliger Vater, das ist nicht möglich“, nachdem ihn der Papst von seinem Entschluss in Kenntnis gesetzt habe, berichtete Gänswein. Er habe dann jedoch sofort gemerkt, dass die Sache schon entschieden und nicht mehr diskutierbar gewesen sei, so der aus dem Schwarzwald stammende Privatsekretär. „Für mich war das wie ein Messerstich“.

Zugleich räumte Gänswein ein, dass der damalige Papst ihn schon „viele Monate“ vor der offiziellen Ankündigung am 11. Februar 2013 über seinen bevorstehenden Rücktritt informiert habe. Benedikt XVI. habe ihn auf das „päpstliche Geheimnis" verpflichtet. Er habe ihm mitgeteilt, dass er mit niemandem darüber reden dürfe, bis er selbst seine Entscheidung mitgeteilt habe. Ich habe das Geheimnis bewahrt, auch wenn es nicht leichtgefallen ist“. Von diesem Zeitpunkt an habe er versucht, den Papst von äußerem Druck zu entlasten und seine Verpflichtungen zu verringern, damit er sich auf das Lehramt konzentrieren könne.

Eine neue Ära

Turbulente Zeiten hat Rom nach der Rücktrittsankündigung Benedikts erlebt: Nach dem Abschied des Papstes startete die Suche nach einem Nachfolger: Am 12. März begann das Konklave für die Wahl des neuen Papstes. 115 Kardinäle - darunter der Wiener Erzbischof Christoph Schönborn - bestimmten den Nachfolger Benedikts XVI.

Nach dem fünften Wahlgang stieg weißer Rauch aus dem Schornstein der Sixtinischen Kapelle auf - als Zeichen dafür, dass ein Name bei der Abstimmung die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit bekommen hatte. Der im Vorfeld als Außenseiter gehandelte Jorge Mario Bergoglio, Argentinier und Jesuit, wurde zum neuen Papst gewählt, er wählte den Namen Franziskus. Eine riesige Menschenmenge bejubelte auf dem Petersplatz den lächelnden Pontifex, der vom „anderen Ende der Welt“ kommt. „Francesco, Francesco!“, skandierten die Gläubigen. Die Freude war riesig - und im Vatikan eine neue Ära angebrochen.

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