Schönborn: Papst-Rücktritt „befreiende Erschütterung“

Der Wiener Erzbischof Kardinal Christoph Schönborn sieht im Rücktritt Papst Benedikts XVI. vor einem Jahr eine „befreiende Erschütterung“ für die katholische Kirche.

Von zumindest zwei konkreten Konsequenzen spricht der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz auf Anfrage von „Kathpress“: „Noch nie habe ich das Gespräch unter den Kardinälen so offen, ehrlich und konzentriert erlebt, wie in den Tagen danach - das hält bis heute an. Und das Papsttum hat dadurch in den Augen der Welt, vor allem auch der Medien, deutlich an Wertschätzung gewonnen. Das konnte man schon vor der Wahl von Franziskus beobachten.“

„Konnte nicht glauben, dass es stimmt“

Die Nachricht vom Papst-Rücktritt habe ihn während eines Besuchs im Wiener Naturhistorischen Museum erreicht. „Spontan dachte ich zuerst, es wäre ein Rosenmontagsscherz“, so Schönborn. „Ich konnte nicht glauben, dass es wirklich stimmt.“ Noch eine Woche zuvor habe er mit Papst Benedikt gesprochen und dabei keinerlei Anzeichen für einen bevorstehenden Rücktritt erkennen können.

Er selbst habe auch Bedenken gehabt, ob man als Papst wirklich sein Amt zurücklegen dürfe, schilderte Schönborn seine damaligen Gedanken. „Ich hatte das ja zuvor noch nie erlebt.“ Künftige Päpste seien aber „nun eher freier in ihrer Entscheidung“ darüber, wie lange sie ihr Amt ausüben wollen. „Sie stehen nicht unter Rücktrittsdruck, sondern der Druck, um jeden Preis ausharren zu müssen, ist von ihnen genommen - sofern er überhaupt bestanden hat.“

Theologen: Chance und Bürde zugleich

Ähnlich wie Schönborn begreifen auch die österreichischen Theologen Jozef Niewiadomski (Innsbruck), Gregor-Maria Hoff (Salzburg) und Jan-Heiner Tück (Wien) den Pontifikatswechsel vor einem Jahr als große Zäsur in der jüngeren Kirchengeschichte.

Der Innsbrucker Dogmatiker Niewiadomski etwa sieht mit dem Ende des Pontifikats Benedikts XVI. zugleich ein Stück Kirchengeschichte zu Ende gehen: Seither müsse man eingestehen, dass das „kirchliche Europa“ zur „Welt von Gestern“ geworden sei. Das Pontifikat Benedikts XVI. habe sich durch Versuche ausgezeichnet, den Lauf der Zeit aufzuhalten und eine „Rückkehr zur Ordnung“ zu versuchen.

Darin sei Benedikt XVI. jedoch gescheitert, so Niewiadomski. Als Beispiele nannte der Theologe etwa die „Zugeständnisse an die Piusbruderschaft“, den Missbrauchsskandal und den Versuch einer „Wiederbelebung alter liturgischer Symbolik“ - ein Versuch, der heute als „total misslungen“ bewertet werden müsse.

Baustellen und Hypotheken

Ähnlich fällt die Einschätzung des Dekans der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg, Gregor-Maria Hoff, aus: Benedikt XVI. habe viele Baustellen hinterlassen - etwa in der Ökumene, im Blick auf die Pius-Bruderschaft, aber auch durch seine Äußerungen zum Islam in der umstrittenen „Regensburger Rede“ und seine Neuformulierung der Karfreitagsfürbitte.

Trotz „Nachbesserungen und Klärungen“ seien dies „Hypotheken“, die Franziskus nun übernommen habe, so Hoff. Auch angesichts des Missbrauchsskandals, „dessen strukturelle Gründe nicht entschieden aufgearbeitet wurden“ und der „Vatileaks“-Affäre müsse man zu dem Urteil kommen, dass „Problemüberhänge“ des Pontifikats geblieben sind, „die in einer Zeit des globalen kirchlichen Umbruchs eine pastorale Restrukturierung der Kirche als Desiderat erscheinen lassen.“ So müsse man das Pontifikat Benedikts wohl als ein „Pontifikat der Krise und des Übergangs“ betrachten.

„Mutige und demütige Geste“

Weniger kritisch sieht der Wiener Dogmatiker Jan-Heiner Tück den Übergang von Benedikt zu Franziskus. Er wertet den Amtsverzicht Benedikts als „eine mutige und zugleich demütige Geste“. „Dieses Eingeständnis der Schwäche ist stark“, so Tück. Im Blick auf die Frage nach Bruch oder Kontinuität zwischen beiden Päpsten spricht sich Tück für eine „Akzentverschiebung“ aus. Benedikt XVI. habe sein Amt vor allem als „Lehrer“ wahrgenommen, Franziskus hingegen verstehe sich mehr als „Hirte, der in Tuchfühlung mit den Gläubigen einen gemeinsamen Weg gehen will“ und ein besonderes „Sensorium für die Verlorenen“ habe.

Neue Akzente erkennt Tück darüber hinaus in der schwindenden Eurozentrik der Kirche, in seiner Fokussierung auf Arme und Ausgeschlossene sowie in einer „heilsamen Dezentralisierung“ der Kirche. „Der Papst weiß, dass er die kulturell polyzentrische Weltkirche nicht allein regieren kann, darum pflegt er stärker einen kollegialen Führungsstil.“ Zur Bürde wird dieser Neuansatz von Franziskus dabei für die Bischöfe: „Das heißt für die Bischöfe nämlich, dass sie stärker an ihre Verantwortung erinnert werden.“

Päpste-Heiligsprechung als Höhepunkt

Niewiadomski erkennt vor allem in den Ausführungen von Franziskus zu Fragen der sozialen Gerechtigkeit einen neuen Akzent. Ein Akzent indes, den bereits Johannes Paul II. gesetzt hat, indem er auf den Zusammenhang von Gerechtigkeit und Barmherzigkeit verwiesen habe. Daher könnten in dieser Frage Franziskus und Johannes Paul II. durchaus in großer Nähe gesehen werden. „Deswegen wird auch die Heiligsprechung von Johannes XXIII. und Johannes Paul II. der symbolische Höhepunkt des Pontifikats von Franziskus sein.“

religion.ORF.at/KAP