Jihadismus-Experte: ISIS baut Langzeitstrukturen auf

Die in Syrien und im Irak aktive jihadistische Gruppe „Islamischer Staat im Irak und in Syrien“ (ISIS) setzt laut dem österreichischen Jihadismus-Experten Rüdiger Lohlker seit neuestem auf den Aufbau von Langzeitstrukturen.

„Zuvor hat sie sich nur auf kurzfristige Aktionen und Besetzungen konzentriert“, so Lohlker am Freitag im APA-Interview. ISIS habe in Syrien bereits gezeigt, dass sie als Organisation in der Lage sei, „grundlegende Strukturen“ zu schaffen. Lohlker, der am Orientalistik-Institut der Universität Wien lehrt, verwies dabei unter anderem auf Brotverteilung und weitere Nahrungsmittelversorgung der Einwohner in von ISIS-Kämpfern kontrollierten Gebieten.

Ein Umdenken von kurzfristigen auf langfristige Strategien innerhalb der ISIS sei etwa von dem jordanischen jihadistischen Theoretiker Abu Mohammed Al-Maqdisi propagiert worden. Maqdisi gelte als einer der einflussreichsten, wenn auch umstrittenen jihadistischen Denker, erklärte Lohlker, der sich seit Jahren intensiv mit Jihadismusforschung auseinandersetzt und die Aktivitäten der selbst ernannten Gotteskrieger beobachtet - insbesondere auf Foren und sozialen Netzwerken im Internet.

Rüdiger Lohlker

BM.I/Alexander Tuma Abdruck

Rüdiger Lohlker

Manpower und Ressourcen nicht bekannt

Zur Möglichkeit, dass ISIS ein Territorium im Irak langfristig besetzen oder führen könnte, wollte sich der Experte nicht äußern. „Ob ISIS die dafür nötige Manpower besitzt und über die ebenfalls notwendigen Ressourcen verfügt, kann ich derzeit nicht einschätzen“, sagte Lohlker.

Unterstützung genieße die radikal-islamische Gruppierung teils vonseiten der Zivilbevölkerung. „Zum Teil geht die Bevölkerung momentan mit dem Stärkeren mit“, so der Wissenschaftler. „Das hat vor allem pragmatische Gründe“, sagte er angesichts der Krise in dem seit Jahren von Instabilität geprägten Land.

Kontrolle über Territorien zentral

Den Vorstoß des umstrittenen schiitischen Regierungschef Nuri al-Maliki, im Kampf gegen ISIS den Notstand auszurufen, betrachtet Lohlker bloß als etwas Formales. Die Abwehr von ISIS habe wenig mit der Umsetzung von Notstandsmaßnahmen zu tun. „Die Effektivität der Bekämpfung hängt von der Kontrolle über Territorien ab“, erklärte der Experte. „Durch die Entfremdung der Bevölkerung von der Regierung darf man sich über die derzeitige Krise nicht wundern.“

Die Regierung unter Maliki sei seit dem Sturz des alten Regimes unter Ex-Diktator Saddam Hussein daran gescheitert, Teile der Bevölkerung in die Politik des Landes zu integrieren. „Es gibt ein generelles Integrationsproblem im Irak, das ist nicht nur schiitisch-sunnitisch geprägt“, so Lohlker.

Regierung ohne Armee

Zu den von der Regierung seit Jahren nicht berücksichtigten Gruppen gehörten etwa auch tribale Kräfte, die ISIS-Kämpfer und auch die eigenen Armeetruppen. „Die Regierung ist auch daran gescheitert, eine eigene Armee aufzubauen“, so der Experte, „und dass das nicht gelungen ist, wird jetzt angesichts der Krise offenkundig.“

Der Ausgang der Krise im Irak und ob die Bekämpfung von ISIS erfolgreich sein kann, bleibt weiterhin offen: „Es wird sich zeigen wie die irakische Regierung auf die ISIL-Truppen reagiert“, so Lohlker. „Auch ob die kurdische Regionalregierung in der Lage ist zu reagieren, bleibt abzuwarten.“

religion.ORF.at/APA

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