Jom Kippur: Das Fest des Sündenbocks

Gläubige Juden feiern den Tag der Versöhnung mit Gott. Der höchste Feiertag des Judentums ist ein strenger Fasttag. Die Sünden der Menschen wurden einst einem Ziegenbock aufgeladen.

Jom Kippur, der „Schabbat Schabbaton“ (Schabbat der Schabbate) wird im Herbst, im September oder Oktober, am 10. Tischri des jüdischen Kalenders (heuer der 4. Oktober) begangen und steht am Ende von zehn Tagen Reue und Umkehr, die mit dem Neujahrsfest Rosch ha-Schana begonnen haben - mehr dazu in Rosch ha-Schanah: Jüdisches Jahr 5775 beginnt. Nach jüdischer Vorstellung trägt Gott zu Rosch ha-Schana sein Urteil über die Geschöpfe in das „Sefer ha-Chajim“ (Buch des Lebens) ein, doch erst zu Jom Kippur wird das göttliche Urteil besiegelt.

Durch tätige Reue, Umkehr („Tschuva“) und gute Taten in den zehn Tagen zwischen Rosch ha-Schana und Jom Kippur können die Gläubigen ein schlechtes Urteil noch zum Guten wenden. Zu Rosch ha-Schana und in den zehn Tagen bis Jom Kippur wünscht man sich daher „Chatima tova“ (idiomatisch für: Gute Eintragung in das Buch des Lebens).

Kinder mit Fahrrädern auf einer leeren Straße

APA/EPA/Oliver Weiken

Auf den Straßen Israels ist zu Jom Kippur die Bahn frei

Arbeitsfreier Fasttag

Jom Kippur beginnt, wie alle jüdischen Feiertage, Freitagabend bei Sonnenuntergang und endet nach Sonnenuntergang am Samstag. Die etwa 25 Stunden, die Jom Kippur dauert, gelten als strenge Fastenzeit. An diesem Tag verzichten gläubige Juden auf Nahrung, Wasser und Körperpflege und erhoffen sich eine Vergebung ihrer Sünden. Mädchen fasten ab dem zwölften, Buben ab dem 13. Geburtstag. Auch die Arbeit ruht an diesem Tag, weshalb in Israel das öffentliche Leben weitgehend zum Stillstand kommt.

Es erscheinen keine Tageszeitungen, Radio und Fernsehen stehen nur eingeschränkt zur Verfügung. Einzelne Radiosender schweigen den ganzen Feiertag über, es sei denn, es gäbe eine Notlage. Auch Geschäfte, Kinos, Bars und Restaurants bleiben geschlossen, der Eisenbahn-, Bus- und Flugverkehr ruht. Da es auch kaum Autoverkehr gibt, haben vor allem Kinder Spaß auf den Straßen.

Israel hat das Westjordanland in der Nacht zum Freitag abgeriegelt. Auf Befehl des Verteidigungsministers Mosche Jalon dürften Palästinenser bis Samstagnacht nur bei besonderen humanitären Notlagen nach Israel einreisen, berichtete die Zeitung „Haaretz“ am Montag.

Eine ultraorthodoxe Frau schwenkt ein Huhn über ihrem Enkel

Reuters/Baz Ratner

Eine ultraorthodoxe Jüdin vollzieht das Entsühnungsritual Kapparot an einem Mädchen

Tag der Sühne und der Versöhnung

Im 3. Buch Mose findet sich eine Anweisung zu Jom Kippur: „Am zehnten Tage des siebenten Monats sollt ihr fasten und keine Arbeit tun... Denn an diesem Tage geschieht eure Entsühnung, dass ihr gereinigt werdet; von allen euren Sünden werdet ihr gereinigt vor dem Herrn.“

Es ist ein Tag der Reue und der Sühne. In einigen ultraorthodoxen Kreisen wird dazu seit jeher das Entsühnungsritual Kapparot durchgeführt. Dabei schwingen Gläubige am Vorabend des Festtags ein lebendiges Huhn drei Mal über dem Kopf und rezitieren eine Formel, die ihre Sünden symbolisch auf das Tier überträgt. Danach wird das Tier rituell geschlachtet und an Bedürftige gespendet. Auch der „Sündenbock“ hat hier seinen Ursprung. In der Zeit des Zweiten Tempels (etwa 515 v. Chr. bis zu seiner Zerstörung 70 n. Chr.) wurden zu Jom Kippur symbolisch die Sünden des israelitischen Volkes einem Ziegenbock aufgeladen und dieser in die Wüste gejagt.

Jom Kippur, der höchste jüdische Feiertag, wird auch von vielen nicht streng religiösen Juden praktiziert. Er ist der einzige jüdische Feiertag, der auch am Schabbat eingehalten wird, alle anderen Feiertage werden verschoben, sollten sie auf einen Samstag fallen. Jom Kippur gilt als Schabbat Schabbaton - als Schabbat der Schabbate. In Österreich können in Absprache mit dem Arbeitgeber nichtchristliche Feiertage freigenommen werden. So wird zum Beispiel der israelische Fußballer der Austria-Wien, Omer Damari, bei dem Bundesliga-Spiel gegen Wolfsberg am Samstag nicht dabei sein, wie der „Kurier“ (Montag-Ausgabe) berichtete.

Ein orthodoxer Jude bläst in ein Widderhorn (Schofarhorn)

APA/EPA/Abir Sultan

Ein Ton des Schofahorns signalisiert das Ende des Jom Kippur

„Kol Nidre“: „Alle Gelübde“

Eingeleitet wird der Versöhnungstag am Abend davor, dem „Erev Jom Kippur“ (Abend des Versöhnungstags), durch das „Kol Nidre“ - eine gesungene, formelhafte Erklärung, in der alle Gelübde gegenüber Gott widerrufen werden, die unwissentlich, aus Versehen oder aber gezwungenermaßen abgelegt wurden. Juden waren im Lauf der Geschichte immer wieder gezwungen, ihrem Glauben abzuschwören. Obwohl es sich nur um die Eingangserklärung handelt, wird häufig der gesamte Gottesdienst am Vorabend von Jom Kippur als „Kol Nidre“ bezeichnet. Das Gebet ist in Aramäisch verfasst und bedeutet „alle Gelübde“ oder „alle Schwüre“.

Den Versöhnungstag selbst verbringen viele Gläubige zur Gänze in der Synagoge. Reuevolle Gebete sollen an diesem Tag besonders wirkungsvoll sein. Er endet kurz nach Sonnenuntergang mit dem Blasen des traditionellen Schofahorns. Dieses aus Widder- oder Kuduhorn gefertigte Instrument - eine sogenannte Hallposaune - soll an die letztlich nicht durchgeführte Opferung Isaaks an Gott erinnern. Anstelle Isaaks wurde ein Widder geopfert, dessen Hörner stellvertretend für das Sühneleiden des Volkes Israel stehen. Die Art, wie auf dem Horn gespielt wird, ist genau festgelegt.

religion.ORF.at/APA/dpa

Mehr dazu:

Jom Kippur (religion.ORF.at-Lexikon)

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