„Shalom Oida“: Jüdisches Filmfestival startet in Wien

Mit "Under the Same Sun“ aus Israel beginnt das jüdische Filmfestival. Die Schauspielerin Elisabeth Orth hält die Eröffnungsrede. Bis 23. 10. wird ein breites Spektrum an Spielfilmen und Dokumentationen geboten.

„Under the Same Sun“ steht am Anfang des Festivals. Die Geschichte einer Idee, die einen Israeli und einen Palästinenser zu Geschäftspartnern macht, steht ganz im Zeichen der Hoffnung auf Frieden - trotz aller Hindernisse, die sich ihm in den Weg stellen. Mehr dazu in: Der Frieden muss von innen kommen.

Screenshot von "Under the Same Sun"

Jüdisches Filmfestival Wien

Wie kann ein Joint Venture zwischen einem Israeli und einem Palästinenser funktionieren? „Under the Same Sun“, der Eröffnungsfilm des Jüdischen Filmfestivals in Wien, beweist Mut zur Utopie

Um das Thema Nahost-Konflikt kreist auch der Streifen „Betlehem“, der die Aktivitäten des israelischen Geheimdienstes Shin Beth beleuchtet. Mit Hilfe eines Netzes von palästinensischen Informanten versuchen die Agenten Terroranschläge vorauszusehen und zu vereiteln. Aber in diesem Spiel, in dem jeder jeden für seine eigenen Zwecke ausnützt, gibt es keine Sieger. Die Aktivitäten des Shin Beth stehen auch im Zentrum einer bemerkenswerten Kinodokumentation.

Logo "Shalom Oida"

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Jüdisches Filmfestival Wien
religion.ORF.at begleitet das Jüdische Filmfestival Wien als Medienpartner und berichtet über ausgewählte Programmpunkte.

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In „Gatekeepers“ kommen sechs ehemalige Geheimdienst-Chefs zu Wort und nehmen sich kein Blatt vor den Mund. Der Film bietet einen neuen und ungewohnten Blick auf die israelische Zeitgeschichte. Regisseur Dror Moreh wird zum Gespräch zur Verfügung stehen. In Erinnerung an den verstorbenen Filmemacher Assi Dayan wird dessen Spielfilm „Life According to Agfa“ gezeigt. Anhand eines Pubs in Tel Aviv analysiert er die Verwerfungen der israelischen Gesellschaft zur Zeit der ersten Intifada.

Mut zur Menschlichkeit

„Zivilcourage“ heißt ein Schwerpunkt im Programm. Zum 40. Todestag von Oskar Schindler bietet das jüdische Filmfestival ein Wiedersehen mit Steven Spielbergs „Schindler’s List“. Eine hervorragende Dokumentation aus der Schweiz („Carl Lutz – Der vergessene Held“) beschäftigt sich mit einem ähnlich gelagerten Beispiel, das aber bislang kaum bekannt ist. Carl Lutz, als Konsul an der Schweizer Botschaft in Budapest eingesetzt, hat durch die Ausstellung von Schutzpässen mindestens 50.000 Juden vor Deportation und Konzentrationslager bewahrt.

Carl Lutz

Marco Barberi

Der Schriftsteller György Konrad, die Philosophin Agnes Heller, der Publizist Paul Lendvai – sie und viele andere konnten durch das Engagement des Schweizer Diplomaten Carl Lutz in Budapest während des Zweiten Weltkriegs gerettet werden

Einer der Geretteten ist der Journalist Paul Lendvai, der nach der Vorführung mit dem Regisseur Daniel von Aarburg und der Carl-Lutz-Stieftochter Agnes Hirschi über den mutigen Diplomaten und sein Vermächtnis ins Gespräch kommen wird.

„50 Children. The Rescue Mission of Mr. and Mrs. Kraus“ ist eine Dokumentation über ein jüdisches Ehepaar aus Philadelphia, das nach Wien reist, um Kindern zur Flucht in die USA zu verhelfen. „Die Akte Grüninger“ ist hingegen ein Spielfilm, der sich aber an einer wahren Begebenheit orientiert. Er erzählt die Geschichte eines Schweizer Grenzbeamten, der nach 1938 den Bundesrats-Beschluss zur Schließung der Grenzen umgeht und Juden die Einreise in die Schweiz ermöglicht.

Starke Frauen und Männer

Ein weiterer Schwerpunkt wurde mit „Starke Frauen, starke Männer“ überschrieben. „Die papierene Brücke“ von 1987 ist eine Reise durch die Familiengeschichte der österreichischen Regisseurin Ruth Beckermann und erzählt gleichzeitig die Geschichte der mitteleuropäischen Juden. Auch Kurt Brazdas Porträt der Widerstandskämpferin Käthe Sasso („Erschlagt mich, ich verrate nichts!“) ist eine österreichische Produktion, genauso wie „Der Fotograf vor der Kamera“, Tizza Covis und Rainer Frimmels Porträt des legendären Fotografen Erich Lessing.

„Regina“, ein Dokumentarfilm von Diana Groó, ist das auf einem einzigen Foto basierende Porträt der ersten Frau, die Rabbinerin wurde. In „Schnee von gestern“ versucht die Dokumentarfilmerin Yael Reuveny die Geschichte ihres Großonkels nachzuempfinden. Dessen Schwester, die ihn ein Leben lang betrauert hatte, fand gegen Ende ihres Lebens heraus, dass er unter einem anderen Namen überlebt hatte - in Deutschland, ganz nah an dem KZ, in dem er inhaftiert gewesen war.

Malcom Clareks „The Lady in Number 6: Music Saved my Life“ erhielt 2014 den Oscar für den besten Kurz-Dokumentarfilm. Er porträtiert die Pianistin Alice Herz-Sommer, die im KZ Theresienstadt Klavierkonzerte geben musste und dennoch die Freude an der Musik nie verloren hat. Ein Höhepunkt des diesjährigen Festivals ist die autobiographische Dokumentation „Un Voyageur“ des großen Filmemachers Marcel Ophüls, der zur Vorführung nach Wien kommen wird. Außerdem in „Starke Frauen, starke Männer“: der israelische Spielfilm „Cupcakes“ von Eytan Fox, in dem eine Gruppe von homo- und heterosexuellen Freundinnen und Freunden durch eine glückliche Fügung der Umstände bei einem internationalen Song-Contest reüssieren kann.

Filmplakat "cupcakes"

Jüdisches Filmfestival Wien

Cupcakes erzählt die Geschichte rund um das Finale einen internationalen Song-Contests

Rückblicke und Nahaufnahmen

Auf unterschiedliche Weise wird auf der Leinwand Geschichte lebendig. Im Dokumentarfilm „Fred Bondi. L’homme chanceux“ (Fred Bondi. Glückskind) von Louis-Albert Serrut kehrt der Protagonist mit 90 Jahren in seine Geburtsstadt Wien zurück und erinnert sich an damals. „Gentleman’s Agreement“ ist der erste Hollywood-Film, der sich mit dem Thema Antisemitismus auseinandersetzte. „Hitler’s Reign of Terror“ wird von Experten als filmhistorische Sensation bezeichnet. Der lang verschollene Film und kürzlich in Belgien wieder aufgetauchte Film von Michael Mindlin – er wird als Europa-Premiere präsentiert – warnte schon 1934 eindringlich vor Hitler und den Nazis. Allerdings ist der Film auch ein Beispiel für den Unterschied zwischen „gut gemeint“ und „gut“, denn die wichtige Botschaft wird durch filmisches Unvermögen weitgehend konterkariert.

Die österreichisch-israelisch-deutsche Dokumentation „Der Anständige“ versucht ein Psychogramm des SS-Führers Heinrich Himmler. „In the Shadow“ ist ein dunkler Krimi, der ins Prag der Fünfzigerjahre versetzt. Ein Polizeidetektiv wird stutzig, als allzu schnell Mitglieder der jüdischen Gemeinde für einen Schmuckraub verantwortlich gemacht werden. „Wakolda“ spielt im Patagonien der Sechzigerjahre. Der merkwürdige Deutsche, der sich einer Familie anschließt und das Gespräch zur kleinwüchsigen Tochter sucht, ist niemand anderer als der nach Argentinien geflohene Auschwitz-Arzt Josef Mengele. Schnell stellt sich heraus, dass er seinen perversen pseudo-wissenschaftlichen Experimenten nicht abgeschworen hat.

Auch ein in jiddischer Sprache gedrehter polnischer Filmklassiker steht auf dem Programm. „Mamele“ ist eine musikalische Komödie von Joseph Green und Konrad Tom, gedreht kurz vor dem Zweiten Weltkrieg. „Next Stop Greenwich Village“ wird in Erinnerung an den Regisseur Paul Mazursky gezeigt und handelt von einem jungen Mann aus Brooklyn, der im New York der Fünfzigerjahre davon träumt, in Hollywood zum Star zu werden.

Screenshot Fill the Void

Jüdisches Filmfestival Wien

Fill the Void: Die 18-jährige Shira lebt in einer orthodoxen chassidischen Gemeinde in Tel Aviv und bereitet sich auf die Heirat mit einem vielversprechenden jungen Mann vor. Doch dann stirbt unerwartet ihre Schwester

„Fill the Void“ (An ihrer Stelle) wurde 2012 mit dem „Ophir“ für den besten israelischen Spielfilm ausgezeichnet. Der Streifen setzt sich mit den Gewissensnöten einer jungen Frau auseinander, die nach dem Tod ihrer Schwester den verwitweten Schwager heiraten soll. Auch „Gett – Der Prozess der Viviane Amsalem“ thematisiert ein Frauenschicksal. Eine Frau, deren Ehe zerrüttet ist, versucht vor dem Rabbinergericht eine Scheidung zu erwirken. Doch das ist ohne die Einwilligung ihres Mannes nicht möglich. Der Film wurde beim Jerusalemer Filmfestival 2014 mit dem Preis für den besten israelischen Film ausgezeichnet.

Es darf gelacht werden

Dafür, dass der Humor nicht zu kurz kommt, sorgt die Schiene „Night laugh“. Die Dokumentation „A Method to he Madness of Jerry Lewis“ belehrt viele, die meinen, sie würden den amerikanischen Komiker kennen, eines Bessern. Lachen ist dabei garantiert, genauso wie bei „A Serious Man“ von Ethan und Joel Cohen. Weiters für Humor zuständig sind „The Manor“, ein Dokumentarfilm über einen Filmemacher und Manager eines familieneigenen Stripclubs, und der Spielfilm „The Wonders“ von Avi Nesher, in dem ein Jerusalemer Barkeeper versucht, seine seit kurzem nach orthodoxen Vorstellungen lebende Freundin zurückzugewinnen.

Screenshot von Fading Gigolo

Jüdisches Filmfestival Wien

Fading Gigolo: Fioravante beglückt diverse Damen der New Yorker High Society, bis er sein Herz an die junge jüdisch-orthodoxe Witwe Avigail verliert

Leichte Unterhaltung verspricht „The Zigzag Kid“, ein Spielfilm über einen vifen jungen Burschen, der anlässlich seiner Bar Mizwa ängstlich gehütete Geheimnisse über das Vorleben seines Vaters lüftet. Auch „Fading Gigolo“ wird zu sehen sein, der jüngste Film von John Turturro, mit Woody Allen in der Hauptrolle.
Nicht zuletzt gilt es den hundertsten Geburtstag eines der Allergrößten zu feiern: Charlie Chaplin gibt den „großen Diktator“.

Gäste und Gespräche

Unter den vielen, die im Anschluss an die Vorführungen zu Gesprächen zur Verfügung stehen werden, ist der Maler und Sänger Arik Brauer. Im Anschluss an Helene Maimanns Dokumentation „Arik Brauer. Eine Jugend in Wien“ wird ihm ein „Fest für Arik Brauer“ ausgerichtet. Sabine Gisiger wird aus der Schweiz zur Österreich-Premiere ihrer Dokumentation „Yaloms Anleitung zum Glücklichsein“ anreisen. Irvin D. Yalom gilt als einer der einflussreichsten Psychotherapeuten der USA. Zuletzt konnte auch Stefan Ruzowitzky zusagen. Er wird rechtzeitig aus Los Angeles zurück sein und nach der Vorstellung seines Dokumentarfilms über „Das radikal Böse“ für Fragen zur Verfügung stehen.

Insgesamt 44 Filme, darunter 17 Österreich-Premieren, werden über die Leinwand gehen, bis das Jüdische Filmfestival am 23. Oktober mit einer Dokumentation über eines der bekanntesten hebräischen Lieder ausklingt: Hava nagila, lasst uns glücklich sein.

Christian Rathner, religion.ORF.at

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