Tschechischer Polit-Krimi beim jüdischen Filmfestival

„In the Shadow“ erinnert an das Prag der Fünfzigerjahre. Ein Polizist wird zum Einzelkämpfer gegen ein moskauhöriges Regime, das vor kriminellen Machenschaften nicht zurückschreckt und Schauprozesse inszeniert.

Wir schreiben das Jahr 1953. DNA-Analysen gab es noch nicht, und daher auch keine Sucherfolge in der Datenbank, die Jahrzehnte später CSI-Ermittlern in ihren Studio-Labors zu staunenswerten Ergebnissen verhelfen. Chefermittler Jarda Hakl von der Prager Polizeibehörde zieht seine Schlüsse auf andere, nicht minder wundersame Weise. Vor dem geknackten „Wertheim“ liegt ein Häufchen Asche, Brandschutzmaterial aus dem Inneren der schweren Safe-Tür. Hakl braucht nicht lang, um darin Spuren von Schweiß zu entdecken. Ein Safeknacker, der bei der Arbeit schwitzt? Das kann nur der übergewichtige Janata sein. Ein guter Polizist kennt seine Pappenheimer.

Logo "Shalom Oida"

.

Jüdisches Filmfestival Wien
religion.ORF.at begleitet das Jüdische Filmfestival Wien als Medienpartner und berichtet über ausgewählte Programmpunkte.

Zur Übersicht

Das Büro für Staatssicherheit übernimmt

„Ve stinu“ (Im Schatten) ist zunächst ein Krimi, der ganz routiniert mit Tat und Tatortbegehung beginnt. Ein Juwelenraub. Schnell wird ein Verdächtiger verhaftet. Im Kasten eines alkoholkranken Juden namens Kirsch stellt Jarda Hakl das Raubgut sicher. Ein Motiv ist schnell zur Hand: Mitglieder der jüdischen Gemeinde würden die geraubten Wertgegenstände nach Berlin schmuggeln, um von dort aus den, wie es diffus heißt, „Krieg in Israel“ zu finanzieren.

Allerdings gefallen dem Ermittler zwei Dinge ganz und gar nicht. Erstens dass das Büro für Staatssicherheit den Fall an sich zieht. Zweitens dass der Hauptverdächtige nachweislich zur Zeit der Tat völlig betrunken im Ausnüchterungsquartier geschlafen hat. Trotzdem legt er, nach einem „standardmäßigen Verhör“ durch Staatssicherheitsleute, ein umfassendes Geständnis ab. Hakl holt sich die Erlaubnis weiter zu ermitteln, und sieht sich bald im Kampf mit einer Krake, deren Arme ihm zunehmend gefährlich werden.

Angst vor Währungsreform und Geldverlust

Den historischen Hintergrund des Streifens bildet die kommunistisch regierte Tschechoslowakei, in der Moskau und seine Abgesandten das Sagen haben. 1953 plant das Regime im Geheimen eine so genannte Währungsreform. Je mehr sie abstreitet, diesbezügliche Pläne zu verfolgen, desto mehr wächst die Sorge alarmierter Bürger – darunter Jarda Hakls Ehefrau Jitka –, die einen gigantischen Raubzug gegen die Bevölkerung befürchten und ihr Erspartes in Sicherheit bringen wollen. In dieser Situation dienen spektakuläre Kriminalfälle als Ablenkungsmanöver.

Screeenshot "In the Shadow"

Jüdisches Filmfestival Wien

Der Film ist dunkel, auch in einem ganz realen Sinn. In vielen Szenen arbeitet Regisseur Sikora mit einem Minimum an Licht und modelliert die Nuancen der Dunkelheit

Zum Juwelenraub kommt bald ein Überfall auf die Post, der mehrere Todesopfer fordert. Auch in diesem Fall wird die „jüdische Gemeinde“ verdächtigt. Die Juden im kommunistischen Prag finden sich in ihrer uralten Rolle wieder. Wenn es die Staatsräson erfordert, müssen sie als Sündenböcke herhalten, auch wenn ihnen jetzt nicht mehr ihr Judentum, sondern der „Zionismus“ zur Last gelegt wird. Hinter dem neuen Begriff verbirgt sich nichts anderes als der alte Antisemitismus in neuer Polit-Mode. Bei einem groß inszenierten Schauprozess wird den Verantwortlichen der jüdischen Gemeinde die „Bildung einer konterrevolutionären Gruppe“ sowie „bewaffneter Raub und Sabotage“ zur Unterstützung zionistischer Terroristen und amerikanischer Aggressoren zur Last gelegt. Große Worte für einen von A bis Z erfundenen Sachverhalt. Der Staatsanwalt fordert die Todesstrafe.

Zwei Väter im Wettstreit

Um das Unglaubwürdige glaubwürdig erscheinen zu lassen, präsentieren die Verantwortlichen des Büros für Staatssicherheit einen deutschen Polizisten namens Zenke, der den Drahtziehern dieser so genannten zionistischen Verschwörung angeblich seit lang langem auf den Fersen ist. In Wirklichkeit handelt es sich um einen früheren SS-Mann, der acht Jahre sowjetischer Lagerhaft hinter sich hat und für die in Aussicht gestellte Heimkehr zu Frau und Kind bereit ist, in dem verlogenen Prozess als Zeuge im Sinne der Anklage auszusagen.

Sebastian Koch spielt den falschen Polizisten mit vielleicht etwas zu verständnisvoll besorgter Miene. Zenke wird zum eigentlichen Antagonisten Jarda Hakls, der sich der Wahrheit verpflichtet weiß, obwohl er sieht, dass es für ihn gefährlich wird. Einmal kommt es zum Gespräch zwischen den beiden. „Wozu ist ein Vater gut, der kneift“, fragt Hakl in gut verständlichem Deutsch. „Wozu ist ein Vater gut, der tot ist?“, antwortet Zenke.

Jarda Hakl weiß, dass er gegen die übermächtigen Gegner keine Chance hat. Ihm bleibt nur die Hoffnung, dass vielleicht eines Tages sein Sohn Tom die „Krake“ besiegen wird. Zur Spannung trägt bei, dass er durch die Umstände tatsächlich zum Einzelkämpfer wird. Er kann keinem vertrauen. Niemandem, nicht einmal seiner Frau, kann er von seinem Verdacht berichten. Das aus vielen Krimis bekannte Gespräch der Ermittler, das eigentlich dazu dient, das Publikum mit den jeweiligen Verdachtsmomenten und Überlegungen vertraut zu machen, fällt hier aus. Jarda Hakl sagt nur das Notwendigste. Was er denkt und was in ihm vorgeht lässt sich nur aus dem erschließen, was er tut. Seine Einsamkeit wird dadurch beklemmend spürbar und wächst in Momenten, in denen er seine Besorgnis vor Frau und Kind zu verbergen sucht.

Ein dunkler Film

Die Vereinigung tschechischer Filmkritiker hat den Streifen 2012 mit einem Preisregen bedacht: bester Film, beste Regie (David Ondricek), bester Hauptdarsteller (Ivan Trojan), beste Musik (Jan Muchow und Michael Novinski) und beste Kamera.
Dass mit Adam Sikora einer der derzeit interessantesten polnischen Kameramänner verpflichtet werden konnte, hat sich bezahlt gemacht. Sikora macht in seinen Bildern den „Film noir“ lebendig. Mit reduzierter, erdiger Farbgebung versetzt er in die Vergangenheit, die Düsterkeit der Ereignisse wird greifbar. Der Film ist dunkel, auch in einem ganz realen Sinn. In vielen Szenen arbeitet Sikora mit einem Minimum an Licht und modelliert die Nuancen der Dunkelheit. Als preisverdächtig wäre auch das Kostümbild zu nennen. Die Anzüge, Krawatten, Trenchcoats und breitkrempigen Hüte der Agenten und Polizisten tragen viel zur Atmosphäre bei.

„Ve stinu“ bietet eine Auseinandersetzung mit der stalinistisch geprägten Vergangenheit des Landes, eines Kapitels der Geschichte also, das hierzulande wenig zum Thema gemacht wird. Erlebbar wird ein skrupelloses Regime mit skrupellosen Beamten, die ihre Absichten rücksichtslos verfolgen. Die Geschichte zeigt auch, wie einfach es offensichtlich war, aus dem Bodensatz der Vorurteile neue Vorwürfe gegen Juden und Zionisten zu basteln. Ein sehenswerter Film aus einem hoch produktiven Film-Nachbarland. David Ondricek steht nach der Vorstellung zum Gespräch zur Verfügung.
Christian Rathner, religion.ORF.at

Heute: Samstag, 18. Oktober 2014

Regina
In einem Dokumentarfilm, der von einem einzigen Foto ausgeht, zeichnet Regisseurin Diana Groó das Porträt der ersten Rabbinerin, Regina Jonas, die 1944 in Auschwitz ermordet wurde. Die Geschichte wird aus ihrer Sicht und mit der Stimme der Schauspielerin Martina Gedeck erzählt. Ein „kluger, essayistischer Montagefilm“ (Michael Pekler im „Standard“).
11.00 Uhr, deutsche OF, Kino DeFrance

Next Stop Greenwich Village
In Erinnerung an den kürzlich verstorbenen Regisseur Paul Mazursky. In dieser romantischen Komödie verlässt der junge Harry Lipinsky das Elternhaus in den Bronx und zieht in das angesagte Village. Dort findet er bald neue Freunde, darunter höchst eigenwillige Charaktere. Eingespannt zwischen der dominanten Liebe der Mutter und einer nicht unkomplizierten Beziehung mit seiner Freundin Sarah, versucht Larry seinem großen Traum näherzukommen: Er möchte als Schauspieler in Hollywood den Durchbruch schaffen. Mit einer Einführung von Karin Moser (Filmarchiv Austria)
13.15 Uhr, englische OF, Kino DeFrance

Gentleman’s Agreement
Der Journalist Phil Green zieht von der Westküste nach New York City, um bei einem großen Magazin zu arbeiten. Sein erster Auftrag ist eine Story über den wachsenden Antisemitismus in den USA. Da kommt ihm die Idee, er könnte sich als Jude ausgeben, um den Antisemitismus am eigenen Leib zu spüren. Elia Kazans Filmdrama aus 1947 ist der erste Hollywoodfilm, der sich mit dem Thema Antisemitismus auseinandersetzt und erhielt 1948 die Oscars für den besten Film, die beste Regie und die beste Nebendarstellerin. Mit einer Einführung von Karin Moser (Filmarchiv Austria)
15.30 Uhr, englische OF mit englischen UT, Kino DeFrance

Gett - Der Prozess der Viviane Amsalem
Eine Ehe ist zerrüttet. Viviane will sich von ihrem Ehemann Eliyahu scheiden lassen. Aber vor dem Rabbinergericht haben die Männer die besseren Karten. Solange Eliyahu nicht einwilligt und ihr den Scheidungsbrief (Gett) ausstellt, läuft Viviane gegen die Wand. Das filmische Kammerspiel von Shlomi und Ronit Elkabetz wurde beim Jerusalemer Filmfestival 2014 mit dem Preis für den besten israelischen Film ausgezeichnet.
18.00, hebräisch-französische OF, englische UT, Kino DeFrance

In the Shadow
In dem preisgekrönten tschechischen Spielfilm kämpft ein Polizist im Prag des Jahres 1953 um die Aufklärung zweier Verbrechen, die der jüdischen Gemeinde zur Last gelegt werden. Als er die wahren Hintergründe der Tat erkennt, wird es für ihn gefährlich.
In Anwesenheit des Regisseurs, David Ondricek.
20.15 Uhr, tschechische OF mit englischen UT, Kino DeFrance

A Serious Man
Der Spielfilm des Regieduos Ethan & Joel Coen aus dem Jahr 2009 läuft in der Schiene „Night Laugh“. Für den Mathematikprofessor Larry Gopnik geht plötzlich alles schief; seine Welt gerät aus den Fugen. Seine Frau will die Scheidung, seine Tochter stiehlt ihm Geld, sein psychisch labiler Bruder kommt, um zu bleiben. Ein koreanischer Student, der bei einer Prüfung durchgefallen ist, versucht seinen Lehrer zu erpressen. Gopnik weiß nur mehr einen Weg: Drei Rabbis sollen ihm aus der Lebenskrise helfen.
Die schwarze Komödie spielt in einem Vorort des Mittleren Westens. Sie schöpft aus Erinnerungen der Coen-Brüder an ihre Jugend in Minnesota und hat Anklänge an das alttestamentliche Buch Hiob, in dem Gott den Gerechten prüft.
22.30 Uhr, englische OF mit deutschen OT, Kino DeFrance