Verzweifelte Lage der Jesiden-Flüchtlinge

Rund 60.000 Jesiden, die von der Terrormiliz Islamischer Staat als angebliche „Teufelsanbeter“ verfolgt und massakriert werden, haben in der Türkei Aufnahme gefunden. Sie fühlen sich aber auch dort nicht sicher.

Am Mittwoch konnte sich eine Parlamentarierdelegation aus Österreich ein Bild von der verzweifelten Lage der Jesiden in einem Flüchtlingslager bei der mehrheitlich von Kurden bewohnten südosttürkischen Stadt Diyarbakir machen. Auf Lokalaugenschein waren SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder, Elisabeth Pfurtscheller (ÖVP), Berivan Aslan (Grüne) und Nikolaus Kunrath vom Grünen-Klub in Wien. Rund 4.000 Flüchtlinge leben in dem Camp bei Diyarbakir. Die meisten von ihnen hoffen auf Aufnahme in Europa oder Amerika.

Jesiden

Zur Religion der Jesiden (Yeziden) zählen sich rund 800.000 Angehörige. Die Mitgliedschaft ergibt sich durch Geburt, wenn beide Elternteile jesidischer Abstammung sind. Die Glaubensvermittlung geschieht ausschließlich in mündlicher Tradition. Jesiden glauben an einen Gott und betreiben keine Mission. Da Gott schwach wäre, wenn er noch eine zweite Kraft neben sich dulden würde, fehlt in der jesidischen Theologie die Personifizierung des „Bösen“.

Befürchtet wird, dass die Jesiden auf längere Sicht nicht in ihre Heimat im Nordirak zurückkehren werden können. Dort werden sie von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) bedroht. Aber viele Jesiden würden auch der kurdischen Lokalverwaltung in der Südosttürkei nicht trauen, berichten die APA.

Dem IS entkommen

„Wir können als Jesiden in keinem muslimischen Land leben. Wir werden verfolgt und umgebracht. Wir wollen nach Europa. Könnt ihr uns helfen?“ Das ist der verzweifelte Appell von Jamal Murat und Sofian Kaman, zwei junger Studentinnen. Ihren Hilfeschrei formulieren sie stellvertretend für viele aus ihrer Gruppe, die aus dem Sindschar-Gebirge, wo tausende Jesiden von der IS eingekesselt waren, entkommen konnte.

„Die kurdischen Peschmerga haben uns nicht geholfen. Sie sind vor dem IS davongelaufen“, berichtet Murat. „Die Peschmerga haben uns an den IS verkauft“, ergänzt Kaman. Wirklich geholfen habe ihnen nur die von Ankara als Terrororganisation betrachtete PKK, die sie in die Türkei gebracht habe.

Wie Jamal und Murat sitzen nun Zehntausende mittellose Jesiden in der Türkei oder im Nordirak fest. Angesichts des kommenden Winters droht sich ihre Lage weiter zuzuspitzen. Die Organisatoren des Flüchtlingscamps bei Diyarbakir klagen, dass sie bald nicht mehr in der Lage seien, die Versorgung der Menschen zu finanzieren. Hilfe vom türkischen Staat gebe es aktuell nicht, zudem habe Ankara von der EU bereitgestellte Finanzmittel nicht an die Lokalbehörden in den türkischen Kurdengebieten weitergeleitet.

Medizinische Versorgung gestoppt?

Auch habe der türkische Staat die medizinische Versorgung der Flüchtlinge gestoppt. Nun bemühten sich freiwillige Ärzte die Menschen zu behandeln und mit Medikamenten zu versorgen. Auch Nahrungsmittel, Kleidung, Decken und Winterausrüstung müsse man aus den Gemeindebudgets und über Privatinitiativen finanzieren - und das in der ärmsten Region der Türkei mit der höchsten Arbeitslosigkeit, betonen die Verantwortlichen des Camps in Diyarbakir.

Mit Vertretern des UNO-Flüchtlingshilfswerks UNHCR habe es zwar einen Dialog gegeben, bisher habe es aber auch keine Unterstützung von dieser Seite gegeben, wird kritisiert. Wie es weitergehen soll, wenn keine massive internationale Hilfe kommt, sei völlig offen. Ein Ende des IS-Terrors gegen Kurden und Jesiden in Syrien und im Irak sei nicht absehbar, so die Meinung vieler Flüchtlinge im Camp.

religion.ORF.at/APA

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