„Gretchenfrage“ an Van der Bellen und Hofer

Die Wiener Kirchenzeitung „Der Sonntag“ hat den beiden Präsidentschaftskandidaten Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer die Gretchenfrage gestellt: Wie beurteilen sie die Bedeutung von Religion sowohl im gesellschaftlichen als auch in ihrem persönlichen Bereich?

Beide unterstreichen in den getrennt geführten Interviews ihre Wertschätzung für den positiven Einfluss religiöser Überzeugungen auf das soziale Zusammenleben. Unterschiede gibt es beim Agnostiker Van der Bellen und beim aus der katholischen Kirche ausgetretenen, nunmehr evangelischen Christen Hofer aber in Bezug auf ihre persönliche Glaubensüberzeugung.

Van der Bellen: Christliche Botschaft wichtig

Alexander Van der Bellen erklärte dem „Sonntag“ (Ausgabe 27. November), er habe als Jugendlicher „den Glauben an diesen einen persönlichen Gott verloren. Ich glaube, man nennt solche Leute wie mich Agnostiker“. Aber zugleich habe er „größten Respekt vor der Botschaft des Neuen Testaments, der Bergpredigt, wenn Sie so wollen, was Christlichkeit ausmacht“. Das sei auch für ihn als Politiker „sicherlich etwas ganz Wichtiges“.

Alexander Van der Bellen und Norbert Hofer

APA/Herbert Pfarrhofer

V.l.: Alexander Van der Bellen, Norbert Hofer

Der frühere Chef der Grünen anerkennt Religiosität als „etwas sehr Schönes, wenn man es für sich hat“. Van der Bellen berichtete von einem mehr als 80-jährigen Dialysepatienten aus seinem Bekanntenkreis, der diese Beeinträchtigung mit Geduld und „Vertrauen auf seinen Gott“ bewältige. „Das ist in solchen Situationen schon etwas sehr Tröstliches.“

Hofer: Religion ist „Leuchtturm“

Norbert Hofer erachtet Religionen als „Leuchtturm“ für die Menschen, die Richtungen vorgeben. „Unsere Gesellschaft würde nicht funktionieren, wenn es Religionen nicht geben würde“, meinte der FPÖ-Kandidat. In seinem persönlichen Glauben sei Dankbarkeit „ein ganz großer Wert für mich“, ebenso das Verzeihen - „das ist besonders nach einem Wahlkampf wichtig“. Hofer achte auch auf ein reines Gewissen: Es gelte jeden Tag so zu gestalten, „dass man am Abend sagen kann: Es war in Ordnung.“ Das werde freilich nicht jeden Tag gelingen, schränkte er ein.

Analyse: Religion als Strategie

Die wertschätzenden Antworten der beiden Hofburg-Kontrahenten stellte Laurenz Ennser-Jedenastik, Politikwissenschaftler an der Universität Wien, in derselben „Sonntag“-Ausgabe in den Kontext des Wahlkampf-Endspurts: Van der Bellen und Hofer würden das Thema Religion „strategisch einsetzen“, um gewisse Zielgruppen anzusprechen. „Es geht bei der Stichwahl ganz klar um die Wählerinnen und Wähler, die am Ende die Wahl entscheiden werden, und diese stammen aus einem traditionell katholischen konservativen Milieu.“

Die Katholiken in Österreich sind nach den Worten des Politikwissenschaftlers „keine homogene Gruppe“. Deshalb gebe es jetzt „einen offenen Kampf darüber, wer die Mehrheit aus diesem Lager an sich zieht“. Religiös praktizierende Wähler hätten üblicherweise eine höhere Tendenz, zur Wahl zu gehen, merkte Ennser-Jedenastik an.

Pressesprecher: Wahl für Christen nicht „sonnenklar“

Weniger Strategie, sondern „im Großen und Ganzen“ Glaubwürdigkeit sieht Michael Prüller, Kommunikations-Chef der Erzdiözese Wien, hinter den im „Sonntag“ getätigten Äußerungen. Van der Bellen habe auch früher schon von seiner Sympathie für die soziale Botschaft des Christentums gesprochen. Und Hofer habe sich längst als betender Christ „geoutet“. Freilich, so Prüller weiter, jeder der beiden Kandidaten habe „seine dunklen Seiten“. Wer behaupte, es sei sonnenklar, wen ein Christ zu wählen habe, „vereinfacht zu sehr“.

Prüller erinnerte daran, dass Norbert Hofer im Jahr 2009 nach seinem Austritt die katholischen Kirche „öffentlich abgekanzelt“ hatte mit den Worten: „Die katholische Amtskirche hat mich aufgrund der scheinmoralischen Aktivitäten ihrer linken Neo-Inquisitoren, falscher Frömmler und wahrer Heuchler endgültig verloren.“ Und Van der Bellen wiederum sei 2010 als Europaratsabgeordneter für eine Resolution eingetreten, die alle öffentlichen Spitäler zwingen wollte, Abtreibung anzubieten, auch gegen das Gewissen des medizinischen Personals.

Persönliche Gewissensentscheidung

Wichtiger als bloße Statements ist nach den Worten des Geschäftsführer des Medienhauses der Erzdiözese Wien, was die Kandidaten bisher getan haben: „Bei wem etwa spielte das christliche Menschenbild tatsächlich die wesentlichere Rolle? Bei Van der Bellen, der für die Flüchtlingsaufnahme und gegen Hetze steht - oder bei Hofer, der sich gegen die Abtreibung behinderter Kinder stellt?“

Vor diesem Hintergrund verstehe er „jeden, der nach reiflicher Überlegung voll und ganz hinter ‚seinem‘ Kandidaten steht“, so Prüller abschließend in seiner Analyse.

religion.ORF.at/KAP

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