Ukraine gründete neue orthodoxe Kirche

Die orthodoxe Kirche in der Ukraine hat am Wochenende Geschichte geschrieben: Beim Vereinigungskonzil in der Kiewer Sophienkathedrale wurde am Samstag eine eigenständige, vom Moskauer Patriarchat unabhängige ukrainisch-orthodoxe Kirche gegründet.

Bei der Kirchenversammlung wählten die mehr als 100 Bischöfe, Priester und Laien Metropolit Epifanij (Dumenko) - bisher Bischof von Perejaslaw im Rahmen des bis vor kurzem als schismatisch angesehenen „Kiewer Patriarchats“ - zum Metropoliten von „Kiew und der ganzen Ukraine“. Das Vereinigungskonzil, bei dem die mit Moskau verbundene orthodoxe Kirche in der Ukraine fast gänzlich fehlte, ist ein weiterer Schritt zur kirchlichen Eigenständigkeit (Autokephalie), deren Gewährung durch das Ökumenische Patriarchat in Istanbul für 6. Jänner erwartet wird.

Bischöfe bleiben fern

Das Vereinigungskonzil tagte unter dem Vorsitz des Pariser Metropoliten Emmanuel (Adamakis). Neben ihm am Podium nahmen zu seiner Rechten Poroschenko und zu seiner Linken der Kiewer Patriarch Filaret Platz. Überschattet war die Versammlung vom Fernbleiben fast aller über 90 Bischöfe der ukrainischen Kirche. Nur zwei Bischöfe nehmen laut örtlichen Medienberichten an der Gründungsversammlung teil. Die Kirche des Moskauer Patriarchats hatte ihre Bischöfe zum Boykott des Konzils aufgerufen.

Neu gewählte Metropolit von "Kiew und der ganzen Ukraine" Metropolit Epifanij (Dumenko)

APA/AFP/Genya Savilov

Metropolit Epifanij (Dumenko)

Die Verkündigung der Wahl von Metropolit Epifanij erfolgte durch Präsident Petro Poroschenko und den Vorsitzenden der Werchowna Rada, Andrej Parubiy, auf dem Vorplatz der Andreaskathedrale, die kürzlich dem Ökumenischen Patriarchat von Konstantinopel überlassen wurde. Poroschenko sprach von der „soeben vollzogenen Gründung der ukrainischen autokephalen orthodoxen Kirche“. Poroschenko hatte als Gast am Gründungskonzil teilgenommen. Der ukrainische Staatspräsident hatte sich massiv für die Kirchengründung eingesetzt. Demonstrativ ging Poroschenko auf dem Weg zum Konzil durch die vor der Kathedrale wartenden Tausenden Menschen und schüttelte Hände.

Sich der „Ketten entledigen“

In seiner Ansprache an die in der Hagia Sophia versammelten Teilnehmer des Vereinigungskonzils sagte Poroschenko, ein „tausendjähriger Traum“ der „spirituellen Freiheit“ gehe „durch den Willen Gottes“ in Erfüllung. Tausend Jahre hindurch sei betont worden, dass die Ukraine sich der Ketten entledigen müsse, die sie „spirituell knebeln“, um ihre Staatlichkeit zu befestigen.

In diesem Zusammenhang nannte der Staatschef auch die Namen der nicht unumstrittenen Politiker Pawlo Skoropadskij und Simon Petljura, die sich vor 100 Jahren für eine autokephale Kirche eingesetzt hätten. Wörtlich erklärte Poroschenko: „Ich betone neuerdings, dass die Ukraine nie kanonisches Territorium der russischen Kirche war, es nicht ist und es nicht sein wird“. Der Staatspräsident bedankte sich beim Ökumenischen Patriarchen, dass dieser die „Moskauer Annexion der Kiewer Metropolie im späten 17. Jahrhundert als illegal erklärt“ habe und pries „den Mut und die Weisheit“ von Bartholomaios I.

„Kirche ohne Putin“

Weiters sagte Poroschonko, dass die kirchliche Unabhängigkeit wichtig für die „nationale Sicherheit“ sei. „Wir durchschneiden die Ketten, die uns an das Reich banden“. Am Abend sagte er vor Tausenden Menschen vor der Sophienkathedrale: „Die (neue) vereinte und unabhängige ukrainisch-orthodoxe Kirche ist eine Kirche ohne Putin, eine Kirche ohne (den Moskauer Patriarchen) Kyrill.“

In der Vergangenheit hatte Poroschenko der mit Moskau verbundenen ukrainisch-orthodoxen Kirche Gebete für Kreml-Chef Wladimir Putin und russische Soldaten vorgeworfen, die Ukrainer töteten.

Metropolit Epiphanius zum Oberhaupt gewählt

Metropolit Epiphanius (39) ging als Favorit in die Wahl und gilt als rechte Hand des Kiewer Patriarchen Filaret (89), dessen Kirche sich bei dem Gründungskonzil mit einer weiteren orthodoxen Kirche zusammenschloss. Der nunmehrige „Metropolit von Kiew und der ganzen Ukraine“ ist promovierter Theologe, der unter anderem in Athen studierte. Er am 3. Februar 1979 in einem Dorf bei Odessa am Schwarzen Meer geboren. 2007 wurde er zum Bischof geweiht.

Der neugewählte Primas wird voraussichtlich am 6. Jänner in Konstantinopel aus den Händen des Ökumenischen Patriarchen Bartholomaios I. den vieldiskutierten „Tomos“ (das Dekret) über die Verleihung der Autokephalie an die neugegründete ukrainische Kirche erhalten. Der ukrainische Präsident Poroschenko kündigte an, dass er Metropolit Epifanij bei der Reise an den Bosporus begleiten werde.

Für Moskau „nichtig“

Das Moskauer Patriarchat pocht auf seine kirchliche Oberhoheit über die Ukraine. Aus Protest gegen die Gründung der eigenständigen ukrainischen Landeskirche brach es bereits seine Kontakte zum Ökumenischen Patriarchat vom Konstantinopel ab. Zudem verbot die russisch-orthodoxe Kirche ihren Gläubigen die Teilnahme an Gottesdiensten in dessen Kirchen. Diese Haltung wird auch vom russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin offensiv unterstützt.

Aus Moskau kam am Samstag zunächst nur eine kurze Erklärung des stellvertretenden Leiters des Außenamts der russisch-orthodoxen Kirche, Erzpriester Nikolaj Balaschow, in dem das Kiewer Konzil und die Wahl von Metropolit Epifanij als „nichtig“ bezeichnet wurden: „Die unkanonische Versammlung von Personen, von denen einige die Bischofsweihe haben und die meisten nicht, hat unter der Leitung eines Laien - des Staatspräsidenten - und eines Ausländers, der nichts in der örtlichen Sprache versteht (Metropolit Emmanuel, Anm.), einen nichtkanonischen ‚Hierarchen‘ zu einem ebenso nichtkanonischen ‚Primas‘ gewählt. Für uns bedeutet dieses Ereignis absolut nichts“.

Er könne auch nicht verstehen, was sich die beiden ukrainisch-orthodoxen Bischöfe erhofft hätten, die an dem „Konzil“ teilnahmen, betonte Balaschow: „Tut uns leid für sie. Trauriges Schicksal“.

Schritt zur Vereinigung der ukrainischen Kirchen

Die Gründung der Kirche gilt sowohl als bedeutender Schritt für die Unabhängigkeit des Landes als auch für die Vereinigung der bestehenden drei großen orthodoxen Kirchen in der Ukraine. Bisher konkurrierten drei orthodoxe Kirchen in dem 45-Millionen-Einwohner-Land miteinander. Eine untersteht dem Moskauer Patriarchat, die anderen beiden spalteten sich 1921 beziehungsweise 1992 ab. Theologisch sind sie sich einig, nur die Haltung zu Moskau unterscheidet sie fundamental.

Laut Umfragen bekennen sich eine Mehrheit der orthodoxen Ukrainer zur 1992 gegründeten Kirche des Kiewer Patriarchats. Ihre rund 40 Bischöfe sowie etwa ein Dutzend Bischöfe der dritten Kirche nahmen an dem Konzil teil.

Verlust von mehr als 12.000 Pfarren

Als Ehrenoberhaupt aller orthodoxen Christen hatte der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., die Bischöfe aller drei bisherigen ukrainischen Kirchen zu dem Konzil eingeladen. Zudem bat er sie, je einen Priester und einen Laien mitzunehmen, die ebenfalls Stimmrecht bekommen sollen. Mit der Leitung der Versammlung beauftragte Bartholomaios I. den Pariser Metropoliten Emmanuel.

Bislang unterstehen mehr als 12.000 ukrainische Pfarren und rund 200 Klöster dem orthodoxen Moskauer Patriarchat. Dessen Hoheit über die Ukraine soll die neue Kirche beenden, wodurch Moskau ein Drittel seiner Pfarreien verlieren würde.

religion.ORF.at/KAP/KNA

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