Religionsgemeinschaften fürchten Einsamkeit bei Alten

Während der Coronavirus-Krise gilt speziell für ältere Menschen, sich von anderen abzuschirmen. Das Maßnahmenpaket ist verständlich, aber auch ein Rezept für Einsamkeit. In den Religionsgemeinschaften ist man in Sorge und trifft Vorkehrungen.

Die Israelitische Kultusgemeinde Wien (IKG) ist vorbereitet. Bereits vor drei Wochen wurde ein Krisenstab eingerichtet, der die Situation jeden Tag aufs Neue evaluiert und ein Maßnahmenpaket geschnürt hat. „Wir haben in der jüdischen Gemeinde eine ganz spezielle Situation, was Traumata angeht“, sagte Generalsekretär Benjamin Nägele zu religion.ORF.at.

„Besonders gefährdete Gruppen“, um die man sich besonders intensiv kümmern müsse, wurden „identifiziert“. Eine wichtige Rolle werde das von der IKG gegründete psychosoziale Zentrum ESRA spielen, das proaktiv alle Patientinnen und Patienten anrufen werde.

IKG ruft alle über 60-Jährigen an

Außerdem: „Alle Gemeindemitglieder über 60 Jahre werden von uns in enger Kooperation mit der jüdischen österreichischen Hochschulschaft angerufen“, sagte Nägele. Und es wurde eine Krisenhotline eingerichtet, bei der sich Menschen, die Hilfe bei Einkäufen brauchen, einsam sind oder einfach nur reden wollen, melden können.

Mithilfe von Freiwilligen werde man im Kontakt mit den älteren Gemeindemitgliedern bleiben und in den Gesprächen auch auf Warnhinweise achten. Wenn der Verdacht besteht, dass es nötig sein könnte, stehen Psychologen und Psychiater bereit, die sich dann bei den Betroffenen melden.

Eine Frau schaut aus dem Fenster

APA/dpa-Zentralbild/Z5025/Peter Förster

Ältere Menschen sollen zum Schutz vor dem Virus zu Hause bleiben

Einsamkeit „wird Problem sein“

„Einsamkeit wird ein ganz großes Problem sein“, sagte Beatrix Auer, Leiterin der Seniorenpastoral der römisch-katholischen Erzdiözese Wien zu religion.ORF.at.

Der sonntägliche Besuch der Messe, das Mitfeiern der Eucharistie und das Plaudern: „Es ist uns völlig klar, dass für viele Menschen die sozialen Kontakte in der Pfarre einfach ein wichtiger Bestandteil des Lebens sind.“ Ein Teil, der nun „völlig wegfällt“.

Viele leben allein

Gerade im höheren Alter leben viele Menschen allein, oftmals bedingt durch Trennung oder weil der Partner oder die Partnerin verstorben ist. Das trifft laut Statistik Austria auf rund 526.000 (33 Prozent) der 1.588.000 Menschen ab 65 Jahren zu. Für sie kann das Maßnahmenbündel zur Eindämmung der Coronavirus-Pandemie zu einer besonderen emotionalen Belastung werden. Ältere Menschen gehören zur Hochrisikogruppe. Sie sollen zu Hause bleiben. Ihre Kinder und Enkelkinder sind aufgerufen, ihnen fernzubleiben.

In der Coronavirus-Krise hat sich das religiöse Leben stark ins Internet verlagert: Gottesdienste werden ausgestrahlt und Ratschläge für die schwierige Zeit vermittelt. Doch damit erreichen die Religionsgemeinschaften viele ältere Leute nicht.

Ältere Menschen weniger online

Natürlich gibt es unter älteren Menschen zahlreiche mit Zugang zum Internet, Sozialen Medien und Smartphones mit Chatdiensten, durch die sie mit anderen besser in Kontakt bleiben können. Doch die Regel ist das nicht.

Tipps

Wie Sie ältere, womöglich einsame Menschen in dieser Krise unterstützen können - vor allem, wenn sie nicht online sind:

  • Anrufe zu ausgemachten Zeiten
  • SMS, Briefe, Fotos, Postkarten schicken
  • Einkäufe erledigen und vor die Tür stellen (mit lieben Botschaften versehen)
  • Am Telefon zu fixen Zeiten miteinander beten (falls religiös)
  • Über Telefonseelsorge (142) informieren und ermutigen, dort anzurufen
  • Bei Bedarf helfen, Kontakt zu Seelsorgern oder Psychologen aufzunehmen

Die Kirche müsse daher gerade jetzt „proaktiv auf die Menschen zugehen“, so Auer. Etwa indem Leute „anrufen, mal beim Fenster stehen und plaudern - natürlich unter Rücksichtnahme der Hygienebestimmungen“.

Anrufe, Briefe und Postkarten

Die Erzdiözese Wien rief vor Kurzem auch all jene Menschen auf, die etwa als Seniorenrundenleiterinnen und -leiter aktiv sind, mit den Seniorinnen und Senioren weiter via Telefon, SMS oder Postkarten und Briefen in Kontakt zu bleiben. Ab Montag gibt es zudem - im Sinne einer ganzheitlichen Seelsorge - ein neues kirchliches Angebot.

Es sei wichtig, dass die ältere Generation auch geistig und körperlich fit bleibe, sagte Auer zu religion.ORF.at. Auf der Website des Katholischen Bildungswerkes Wien werden daher jeden Tag Körper- und Gedächtnisübungen und „gute Gedanken für den Tag“ bereitgestellt. Die sollen jene Helferinnen und Helfer, die für die ältere Bevölkerung einkaufen gehen, ausdrucken und in das Einkaufssackerl geben. Damit „wenden wir uns besonders an jene, die keinen Internetzugang daheim haben“, sagte Auer.

Evangelische „Telefonketten“

Die Botschaft, „dass wir immer noch für sie da sind“, will der Pfarrer der evangelischen Gemeinde Vöcklabruck, Markus Lang, der Generation 70 plus dringend vermitteln. „Wir als Kirchen sind da, um Trost und Zuspruch zu schenken“, doch mit dem Abstand, den es nun zu halten gilt, sei das eine „enorme Herausforderung“. Der Pfarrer erhalte bereits jetzt viele Anrufe von Menschen, die sich melden, weil sie sich Sorgen machen, aber auch „nur zum Reden, um die Einsamkeit wegzubekommen“.

In der ländlichen Gemeinde gebe es viele alte Leute, deren Familie in der Stadt lebe, „Menschen, die auf den Wochenmarkt gegangen sind und regelmäßig Besuche bekommen haben“, sagte Lang. „Die sind jetzt sozial noch schlimmer abgeschottet als viele andere“. Daher organisiert der Pfarrer gemeinsam mit ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern Telefonketten. Einsame Menschen würden regelmäßig angerufen.

IGGÖ rät zu Telefon und Post

Auch die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) setzt auf das Telefon. Sie empfiehlt ihren Moscheegemeinden, ältere Gemeindemitglieder regelmäßig anzurufen, und ihnen auch „ab und zu etwas per Post zu schicken“, wenn keine E-Mail-Adresse vorhanden ist, sagte Valerie Mussa zu religion.ORF.at.

Bei kleineren Gemeinden, wo „persönliche Kontakte da sind“, werde es leichter sein, alle anzurufen, als bei großen. Die IGGÖ ermutigt Musliminnen und Muslime auch zu Nachbarschaftshilfe. Und Seelsorge wird nun telefonisch angeboten.

Seelsorge am Telefon

Zwar von der römisch-katholischen und der evangelischen Kirche betrieben, aber für jeden und jede offen, ist die 24-Stunden-Telefonseelsorge (Nummer 142). Rund 90 Prozent der Anrufe drehen sich mittlerweile um die Pandemie, wie die Leiterin der Telefonseelsorge Oberösterreich, Silvia Breitwieser, religion.ORF.at sagte. Sie rechnet damit, dass bedingt durch Einsamkeitsgefühle im Laufe der Zeit verstärkt ältere Menschen anrufen werden.

Die Expertin für Krisenseelsorge rät jenen, die Älteren helfen wollen, einen konkreten Zeitpunkt mit ihnen auszumachen, an dem sie jeden Tag anrufen. „Dann ist es nicht nur ein Warten auf den Anruf, sondern begleitet mit Vorfreude. Die ist sehr stärkend.“ Telefonieren wird dieser Tage besonders großgeschrieben: Auch die Diözese Linz kündigte kürzlich einen regelmäßigen Telefondienst von Seelsorgerinnen und Seelsorgern an.

Steiermark und Tirol mit neuen Hotlines

Helfen am Telefon sollen auch neue Trost-Hotlines: Etwa die der evangelischen und der römisch-katholischen Kirche in der Steiermark (0316/8031557, Montag bis Freitag, 8.00 bis 18.00 Uhr, Samstag und Sonntag 10.00 bis 18.00 Uhr) sowie die des Landes Tirol und der Diözese Innsbruck (0800/400120, täglich von 8.00 bis 20.00 Uhr). Der katholische Bischof Hermann Glettler sagte über das Angebot: „Menschen werden ihnen zuhören und das wird ihre Ohnmacht und Angst brechen und sie werden das Gefühl haben, nicht allein zu sein.“

Clara Akinyosoye, religion.ORF.at

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