Gotteskrieger im Kampf in Syrien

ORF/Journeyman TV

Der europäische Gotteskämpfer

„Big A“, ein dänischer Drogendealer und säkularer Muslim, schwört der Kriminalität ab – und meint, die Religion für sich entdeckt zu haben. Er will Allah dienen und zieht in den Dschihad nach Syrien.

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ORF

Sendungshinweis

Dienstag, 21. Oktober 2014
um 22.35 Uhr, ORF 2

Wiederholungen:

Mittwoch, 22. Oktober 2014
um 20.15 Uhr, ORF III

Donnerstag, 23. Oktober 2014
12.25 Uhr, ORF 2
Nur „Die Kinderkrieger der Taliban“

Der Blick ist dieser Tage wieder einmal auf die islamische Welt gerichtet. Die Nachrichten von Exekutionen vor laufender Kamera, Vertreibungen und Versklavung von Frauen und Kindern durch die Terror-Miliz „Islamischer Staat“ hat die Frage nach dem Verhältnis von Religion, Extremismus und Gewalt neuerlich in den Mittelpunkt der öffentlichen Aufmerksamkeit gerückt.

„kreuz und quer“ – präsentiert von Christoph Riedl-Daser – zeigt dazu am Dienstag, dem 21. Oktober 2014, ab 22.35 Uhr in ORF 2 drei in HD produzierte Dokumentationen: „Der europäische Gotteskämpfer“, „Die Kinderkrieger der Taliban“ (23.05 Uhr) und „Gesichter des Islam: Frieden und Gewalt“ (23.35 Uhr):

„Der europäische Gotteskämpfer“

„Big A“, ein dänischer Drogendealer und säkularer Muslim, schwört der Kriminalität ab – und meint, die Religion für sich entdeckt zu haben. Er will Allah dienen und zieht in den Dschihad nach Syrien. Der Film des Journalisten Nagieb Kahja folgt „Big A“ bis an die Front und gewährt einen seltenen Einblick in die sonst abgeschottete Welt europäischer Gotteskämpfer in Syrien.

Bei der Polizei Kopenhagens war Abderozzak Benarabe längst kein unbeschriebenes Blatt: Unter dem Namen „Big A“ war der Däne marokkanischer Herkunft in den Straßen der Stadt bekannt. Von seinen 39 Jahren hatte er bereits zwölf Jahre wegen Drogen- und Gewaltdelikten in Gefängnissen verbracht, als er 2012 seine zwielichtige „Karriere“ in den Hinterhöfen Kopenhagens – vorläufig – beendete.

Die Abwendung von Gewalt und Drogengeschäften hatte einen Grund: Bei seinem jüngeren Bruder wurde Krebs diagnostiziert. Benarabe deutet die Krankheit als Strafe Gottes. Der bis dahin säkulare Muslim wendet sich der Religion zu: „Gott sagte zu mir: ‚Hey, wach auf!’“ Benarabe ist sich sicher: Beten nützt bei seinen schweren Verbrechen ohnehin nichts mehr. Und so beschließt er, in Syrien auf der Seite islamistischer Rebellen zu kämpfen. „Ich hoffe, dass mir Allah dadurch vergeben kann.“

Ohne politisches und religiöses Vorwissen heuert er bei einer Salafisten-Gruppe an, die dem Terrornetzwerk Al-Kaida nahesteht. In dieser Einheit dienen vor allem Syrer, einige kaum 16-jährig. Es sind keine professionellen Kämpfer. Die Männer machen auch nicht den Eindruck besonderer ideologischer Radikalität, sondern eher den einer Chaostruppe.

Zunächst kann für den Neuen kein Gewehr aufgetrieben werden. Trotzdem fährt Benarabe mit an die Front – konkret nach Arihah, ganz im Nordwesten Syriens gelegen, eine im Jahr 2012 zerbombte Stadt. Die Rebellen haben einen Stützpunkt der Soldaten von Staatspräsident Baschar al-Assad eingekesselt. Die Armee wehrt sich mit Bomben aus Helikoptern und Fliegern. Mit ihren Gewehren feuern die Salafisten scheinbar ziellos aus einem Fenster auf den weitgehend unsichtbaren Feind. Dann trifft ein Scharfschütze des Gegners den Kopf eines Dschihadisten. Dieser verblutet auf der staubigen Straße, wenige Meter neben Benarabe.

In den Halbruinen versucht man indes, weitere Schwerverletzte zu reanimieren – vergeblich. „Big A“ steht bei all dem etwas ratlos abseits. Aber Benarabe gibt sich dennoch entschlossen. Endlich bekommt auch er ein Gewehr. Wie es funktioniert, muss ihm niemand erklären. Sechs Tage stürmt er gegen den Stützpunkt. Kameraden loben seine Tapferkeit, ein Granatensplitter zerfetzt seinen Rucksack. Trotzdem schickt ihn der Kommandant nach Hause, wo Benarabe Geld und Material beschaffen soll.

Zum zweiten Mal fährt er nach Syrien. Zwischen den Hilfsgütern hat er Zielfernrohre und Nachtsichtgeräte versteckt. Ohne durchsucht zu werden, rollt der Mini-Konvoi über die türkisch-syrische Grenze. Dann verliert Journalist Nagieb Kahja den Kontakt. Offenbar reist „Big A“ überhastet zurück nach Kopenhagen. Eine rivalisierende Gang versucht, seine Geschäfte an sich zu reißen. Es dauert nicht lange, bis er durch diese „Geschäfte“ wegen schwerer Körperverletzung wieder im Gefängnis in Kopenhagen einsitzt. Die erhoffte Erlösung durch den Dschihad ist für Abderozzak Benarabe ausgeblieben.

Ein Film von Nagieb Kahja (Bearbeitung: Ursula Unterberger)

„Die Kinderkrieger der Taliban“

„Die Taliban sind gut“, sagt der zehnjährige Neaz in die Kamera. Er gehört zur neuen Generation afghanischer Terroristen. „Sie haben mir eine Bombenweste gegeben und gesagt, ich soll mich am Checkpoint in die Luft jagen.“ 50 Afghanis (etwa 60 Cent) sollte Neaz als Gegenwert für sein Leben bekommen. Doch der kleine Bub lief davon – und lebt nun als Kriegswaise in einem afghanischen Waisenhaus.

In dem vom Krieg zerstörten Land rekrutieren die Taliban systematisch auch Kinder und Jugendliche für ihre Zwecke. Mehr als 200 dieser Kinderkrieger sind derzeit in eigenen Straflagern in ganz Afghanistan inhaftiert. Sie wurden als Taliban-Kämpfer gefangen genommen und verurteilt. Viele von ihnen sollten Selbstmordattentate verüben – gegen die Amerikaner, gegen die eigenen Soldaten, die mit den „Fremden“ gemeinsame Sache machen.

Die Dokumentation zeigt diese Kinder und Jugendlichen in den Waisenhäusern und Straflagern des Landes. Und sie zeigt auch, wie schwierig es ist, diesen Kinderkriegern der Taliban eine Perspektive zu geben und ein neues Wertesystem zu vermitteln. Denn die meisten von ihnen haben in ihrem Leben nichts als Krieg kennengelernt – und machen dafür die Streitkräfte aus dem Ausland verantwortlich. „Die Amerikaner wollen unser Land ausrauben“, lautet denn auch das Fazit von Neaz. Und ein anderer Waisenbub: „Die Taliban bauen unser Land auf. Die Amerikaner sind gekommen, um es zu zerstören.“

Ein Film von Najibullah Quraishi (Bearbeitung: Sabine Aßmann)

„Gesichter des Islam: Frieden und Gewalt“

Der Film macht sich jenseits des politischen Tagesgeschäfts auf die Suche nach dem Verhältnis des Islam zur Gewalt. Der syrisch-österreichische Publizist und Imam Tarafa Baghajati betreut extremismusgefährdete Jugendliche in Wien, während seine Frau Amina für die muslimische Gemeinde mit Schulklassen ins Gespräch kommt. In ihrem Istanbuler Tonstudio erhebt die Sängerin Habibe ihren Klageruf gegen die Gewalt, und der Meisterkalligraph Hüseyn Kutlu erklärt die Grundaussagen des Korans anhand seiner Entstehungsgeschichte.

In Coventry stellt sich der prominente pakistanische Theologe Sheikh Tahir ul-Qadri mit der Veröffentlichung einer 600-seitigen Fatwa dem islamischen Terrorismus entgegen, während in Sheffield ein umfangreiches Programm jungen Männern gilt, die in den Extremismus abdriften. In London berichtet der Politikwissenschafter Maajid Nawaz, wie er in eine fundamentalistische Organisation geriet und sich wieder befreite. In Utrecht analysiert der – mittlerweile verstorbene – ägyptische Literaturwissenschaftler Nasr Abu Zaid die Expansion des Islam und den Zusammenhang von Politik und Religion.

In Indonesien besucht Regisseur Hannes Schuler nach der großen Moschee von Jakarta auf Java Schülerinnen und Schüler eines religiösen Internats, dessen Leiter sich dem indonesischen Prinzip der Toleranz und des gegenseitigen Respekts verpflichtet fühlt. Die Dokumentation arbeitet u. a. mit Montagen aus historischen Miniaturen zu Mohammed, Geschichte und Gewalt und zeigt Nachrichten-Filmmaterial aus Irak, Afghanistan, New York, und Indonesien.

Ein Film von Hannes Schuler (Bearbeitung: Ursula Unterberger)