Muslime und Juden besuchten Auschwitz

Wenige Tage vor dem 75. Jahrestag der Befreiung von Auschwitz haben muslimische und jüdische Würdenträger gemeinsam das frühere NS-Vernichtungslager besucht.

Der Generalsekretär der Islamischen Weltliga, Mohammed Abdulkarim al-Issa, sagte am Donnerstag, der Besuch in der Gedenkstätte sei für ihn „eine heilige Pflicht und eine große Ehre“. Zusammen mit anderen Muslimen aus aller Welt kniete er vor dem Denkmal für die Ermordeten nieder und betete. Der als historisch gewertete Besuch wurde vom American Jewish Comittee organisiert. Geschäftsführer David Harris sagte, noch nie hätten so ranghohe muslimische Würdenträger Auschwitz oder ein anderes NS-Todeslager besucht.

Das NS-Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau wurde im Zweiten Weltkrieg zum Ort des größten Massenmordes an den europäischen Juden. Mehr als eine Million Männer, Frauen und Kinder, die meisten von ihnen Juden, wurden dort in Gaskammern getötet, erschossen oder durch Zwangsarbeit und Hunger in den Tod getrieben. Am 27. Jänner jährt sich die Befreiung des Konzentrations- und Vernichtungslagers durch sowjetische Soldaten zum 75. Mal.

Muslime knieten in Auschwitz zum 75. Jahrestag der Befreiung nieder

Reuters/Kacper Pempel

Muslimische und jüdische Würdenträger beteten an der Gedenkstätte im ehemaligen KZ Auschwitz

Staatschefs gedachten in Jerusalem der Shoah

Rund 50 Staats- und Regierungschefs, Vertreter des Judentums und Israels sowie Überlebende des Holocaust gedachten am Donnerstag in Jerusalem der Befreiung des NS-Todeslagers Auschwitz vor 75 Jahren. In der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem legten die Spitzenpolitiker, unter ihnen auch der österreichische Bundespräsident Alexander Van der Bellen, einzeln Kränze ab. Für den Vatikan nahm der Präsident der Kommission für die religiösen Beziehungen mit dem Judentum, der Schweizer Kurienkardinal Kurt Koch, an der Zeremonie teil.

Israels Staatspräsident Reuven Rivlin forderte in seiner Ansprache ein vereintes internationales Vorgehen gegen die „chronische Krankheit“ Antisemitismus. Sie komme „von links und von rechts und nimmt in der Geschichte Formen an und legt sie wieder ab“, so Rivlin. Der Staat Israel sei „eine Kompensierung für den Holocaust“ - ein Staat, der Partnerschaft suche und Partnerschaft fordere. Israel sei kein Opfer, sondern werde sich immer verteidigen.

„Menschenwürde ist unteilbar“

Bundespräsident Alexander Van der Bellen erinnerte in einer Erklärung zu seiner Teilnahme an der Gedenkveranstaltung daran, dass Österreich „Mitverantwortung an der Shoah“ trage. „Österreicherinnen und Österreicher waren Täterinnen und Täter, teils an führender Stelle. Zehntausende Österreicherinnen, vor allem Jüdinnen und Juden, aber auch Roma und Sinti, Menschen mit Behinderung, Homosexuelle, politisch Verfolgte, Widerstandskämpfer und Deserteure waren Opfer und wurden von den Nationalsozialisten ermordet“, so Van der Bellen.

„Dem Andenken der Opfer der Shoah werden wir nur gerecht, wenn wir dafür sorgen, dass Menschenverachtung, Sündenbockdenken und Gewalt niemals wieder als politisches Instrument eingesetzt werden“, mahnte der Bundespräsident, denn „die Menschenwürde ist unteilbar“.

„Kein Schlussstrich unter das Erinnern“

Der deutsche Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier erinnerte in seiner Rede an die historische Schuld und Verantwortung Deutschlands. Angesichts des bleibenden Bösen dürfe es „keinen Schlussstrich unter das Erinnern geben“. Steinmeier war der erste deutsche Präsident, der eine Rede in der Gedenkstätte hält. Seine historische Ansprache eröffnete er mit dem jüdischen Schehechejanu-Gebet auf Hebräisch.

Bundespräsident Alexander Van der Bellen legt einen Kranz in der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem nieder

Reuters/Ronen Zvulun

Bundespräsident Alexander Van der Bellen legte einen Kranz in Yad Vashem nieder

Steinmeier versprach für Deutschland: „Wir bekämpfen den Antisemitismus! Wir trotzen dem Gift des Nationalismus! Wir schützen jüdisches Leben! Wir stehen an der Seite Israels!“ Gleichzeitig warnte der Bundespräsident vor einem Rückfall in antisemitisches, völkisches oder autoritäres Denken. „Wir wissen: Jeder Friede bleibt zerbrechlich. Und als Menschen bleiben wir verführbar.“

Zugleich erneuerte Steinmeier das Bekenntnis zur Schuld der Deutschen. „Die Mörder, die Wachleute, die Helfershelfer, die Mitläufer: Sie waren Deutsche.“ Der „industrielle Massenmord an sechs Millionen Jüdinnen und Juden“ und der „grausame Krieg“ mit weit mehr als 50 Millionen Toten seien von Deutschland ausgegangen.

Zahlreiche Staats- und Regierungschefs

Auch andere Redner wie der russische Präsident Wladimir Putin und der französische Präsident Emmanuel Macron warnten vor dem Wiederaufleben des Antisemitismus. US-Vizepräsident Mike Pence betonte, das Holocaust-Gedenken sei „die ständige Verpflichtung aller Generationen“. Man dürfe „das schlimmste Böse, was Menschen anderen Menschen angetan haben“ nie vergessen.

Putin wandte sich zudem gegen eine Politisierung des Holocaust und des Gedenkens an die Opfer. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu rief die Welt auf, sein Land gegen den Iran zu unterstützen. Besorgt warte er auf eine einheitliche Position der Welt „gegen das antisemitischste Regime der Welt, das nach der Entwicklung einer Atomwaffe strebt, einzig und allein, um den jüdischen Staat zu zerstören“.

„Niemals“ und „Nie wieder“

„Niemals“ und „Nie wieder“ waren dominierende Worte in den Reden beim Forum. Sie dürften nicht zur leeren Hülse verkommen, sondern seien „kontinuierliche Handlungsanweisung“, mahnte Netanjahu die Versammelten. Insbesondere in der Erziehung nachkommender Generationen liege ihre gemeinsame Pflicht, sagte Yad-Vashem-Direktor Avner Schalev. Jeder Mensch müsse verstehen, was Antisemitismus sei und wohin er in der Vergangenheit geführt habe. Die hohe Teilnahme an der Gedenkfeier gebe die Hoffnung, „dass die Welt, die wir unseren Kindern übergeben, freundlicher und toleranter sein wird als jene, die wir von unseren Eltern erhalten haben“.

„Pflicht der gesamten Menschheit“

Eine Brücke zum Überleben der Menschheit sah der Vorsitzende des Yad-Vashem-Rats und frühere israelische Oberrabbiner Israel Meir Lau in der Gedenkfeier. Auch wenn es für das Leiden weder Vergeben noch Vergessen gebe, könnte von Yad Vashem und Jerusalem der Frieden kommen. Dazu müssten die Großen dieser Welt nur die Botschaft verstehen, die die Tiere in Noahs Arche so selbstverständlich gelebt hätten: Während 150 Tagen lebten natürliche Feinde gewaltfrei zusammen, weil sie sich des gemeinsamen Feindes draußen - der Flut - bewusst gewesen seien.

„Die Welt“, mahnte Lau, „ist in Ihren Händen. Mit einer Unterschrift entscheiden Sie über das Schicksal von Millionen, also entscheiden Sie sich für Frieden und Liebe.“ Das Bekenntnis zum Kampf gegen Antisemitismus, das die versammelten Staatsführer in Yad Vashem gegeben hätten, sei ein „Versprechen und eine Pflicht der gesamten Menschheit“.

Polens Präsident sagte Teilnahme ab

Überschattet wurde die Gedenkveranstaltung von der Absage von Polens Präsident Andrzej Duda. Er reiste aus Protest nicht an, weil er anders als der russische Staatschef Putin nicht als Redner vorgesehen war. In ganzseitigen Zeitungsanzeigen warnte Duda vor einer Verfälschung der Geschichte des Völkermords an den Juden. Die Wahrheit über den Holocaust dürfe „nicht verzerrt oder für irgendeinen Zweck instrumentalisiert werden“. Das Gedenken an die Tragödie des Holocaust solle ein wichtiges und dauerhaftes Element der Friedenserziehung sein. Duda veröffentlichte seine Erklärung in der „Welt“, „Le Figaro“ (Paris) und der „Washington Post“. Warschau und Moskau werfen sich seit Wochen gegenseitig Geschichtsfälschung vor.

religion.ORF.at/APA/AFP/KAP/KNA

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