Weltjugendtag: „Katholisches Woodstock“

Musik, Tanz und gemeinsames Gebet erleben derzeit rund zwei Millionen vorwiegend junge Katholiken in Rio de Janeiro. Ob und was von dem „Festival“ bleibt, hängt davon ab, wie mit den transportierten Inhalten nach dem Ereignis umgegangen wird.

Rund zwei Millionen Menschen sind zum Weltjugendtag 2013 im brasilianischen Rio de Janeiro gekommen. Wegen seines Festival-Charakters wurde der alle zwei bis drei Jahre stattfindenden Weltjugendtag der katholischen Kirche schon als „katholisches Woodstock“ bezeichnet, wo der Papst wie ein Popstar gefeiert wird. Auch die logistischen Herausforderungen sind dieselben wie bei Fußball-Weltmeisterschaften oder großen Musikfestivals.

„Kollektive Endorphinausschüttung“

Was die offensichtlich große Faszination der kirchlichen Weltjugendtage ausmacht, scheint die Erfahrung der Gemeinschaft zu sein: Massenveranstaltungen fördern das Zusammengehörigkeitsgefühl. Für die jungen Menschen werde internationales katholisches Selbstverständnis wahrnehmbar, sagt Regina Polak vom Institut für praktische Theologie in Wien im Gespräch mit religion.ORF.at. Als „kollektive Endorphinausschüttung“ bezeichnet es der Zukunftsforscher Andreas Reiter.

Menschenmenge mit Transparent "Follow Jesus"

Reuters/Ricardo Moraes

In der Menge mit Gleichgesinnten entsteht ein ganz besonderes Zusammengehörigkeitsgefühl

Gerade für Jugendliche aus Westeuropa sei die Erfahrung des gemeinschaftflichen Katholisch-Seins wichtig, weil sie ständig unter Erklärungsnot stünden, warum sie katholisch sind. Mit dem WJT werde ein globales Bewusstsein des Katholischen sichtbar. Aber es finde auch eine „Entindividualisierung“ statt, weshalb das Gemeinschaftsgefühl inhaltlich ausgefüllt werden müsse, damit der Weltjugendtag ein Wirkung abseits des Events habe, sagt die Theologin.

Diese inhaltliche Arbeit müsse bereits davor, natürlich währenddessen aber besonders in der Nacharbeit erfolgen. Denn per se hätten solche Großveranstaltungen keine nachhaltige Wirkung, so Polak. Bei seinem jüngsten Wien-Besuch ging auch Erwin Kräutler, Bischof und Prälat von Xingu, der flächenmäßig größten Diözese Brasiliens gegenüber dem ORF Radio/Religion auf die Bedeutung der Nacharbeit des WJT ein. "Wenn die jungen Leute dort wieder den Auftrieb oder die nötige Rückendeckung bekommen, um an der Basis weiterzuarbeiten, dann ist das ausgezeichnet, sagte der mit dem alternativen Friedensnobelpreis ausgezeichnete Bischof.

Gutes „Marketinginstrument“

Ein derartiger „Megaevent“ findet - so wie etwa die Fußball Weltmeisterschaft 2014 - nicht nur positives Echo. So gab und gibt es Proteste gegen die kolportierten 40 Millionen Euro, die der katholische Weltjugendtag die brasilianischen Steuerzahler kostet. Der Vatikan ergreift mit dem medienwirksamen Großereignis die Gelegenheit, die Stärke und Erneuerungskraft der Kirche zu demonstrieren.

Als Marketinginstrument funktioniere der WJT gut, ist Reiter im Gespräch mit religion.ORF.at überzeugt. Denn bei solchen Großveranstaltungen entstehe eine enorme Bindung zwischen den Menschen und auch an die „Marke“. Und diese ist, seit Franziskus Papst ist, für viele eine besonders anziehende. Franziskus gibt sich volksnah, er vermittelt sich selbst als Teil der Gemeinschaft, tritt für Gerechtigkeit und Solidarität ein. Selbst kirchenkritische Geister sind von der Person des Papstes beeindruckt.

Der lange Strand der Copacabana mit vielen Bildschirmen auf denen die Ansprache des Papstes am Donnerstag übertragen wurden

Reuters/Paulo Whitaker

Zahlreiche Monitore wurden an der Copacabana aufgestellt, um die Ansprache des Papstes zu übertragen

Nicht diskutieren, sondern erleben

2007 erschien eine umfassende interdisziplinäre Studie, die sich mit dem Phänomen Weltjugendtag befasste - konkret auf den in Köln 2005 bezogen. Darin kommt zum Ausdruck, dass die Jugendlichen nicht über ihren Glauben diskutieren wollten, sondern dass im Vordergrund steht, das Katholisch-Sein als Einheit zu erleben und zu feiern.

Dabei spiele es keine Rolle, in welchem Spektrum der Kirche sich die jungen Menschen verorten, so die Studie: Sonst progressive, traditionalistische, mystisch-spirituelle, marianische oder volkskirchlich-pragmatische Katholiken wollten „Religion einmal ganz anders erleben“, so ein Zitat in der Studie.

Menschenmenge

Reuters/Stefano Rellandini

Andächtig folgen die jungen Menschen den Worten des Papstes

„Das hat schon eine friedliche Kraft“, so Reiter, der 2011 zufällig in Madrid war, als der WJT dort stattfand. Besonders junge Menschen hätten ein massives Bedürfnis nach Botschaften, so Reiter gegenüber religion.ORF.at. Und sie hätten ein großes Bewusstsein für soziale Themen und Interesse an globaler Gerechtigkeit, sagt Polak.

Buchhinweis

Winfried Gebhardt: Megaparty Glaubensfest: Weltjugendtag: Erlebnis - Medien - Organisation. Erschienen im Verlag für Sozialwissenschaften 2007

Papst Franziskus hat tatsächlich sein Anliegen für Arme und sozial marginalisierte Gruppen auch in Rio weiter in den Vordergrund gestellt, unter anderem durch seine Besuche bei Drogenkranken und in den Armensiedlungen Rios - mehr dazu in Papst besuchte Suchtkranke: Kampf den „Todeshändlern“ und Papst in Favela: Appell zu sozialer Gerechtigkeit.

Bewusste Inszenierung

Die Weltjugendtage werden bewusst als Verbindung von profanem Fest und religiöser Feier inszeniert, wie aus der deutschen Studie hervorgeht. Ehrwürdige katholische Liturgie mische sich mit traditioneller Volksmission, Wallfahrt, Happening und Spektakel. Der WJT liege somit im Spannungsfeld zwischen Marketingevent und authentischer religiöser Jugendveranstaltung, so die Autoren der Studie.

Eingeführt wurden die WJT von Papst Johannes Paul II., der nach seiner Wahl zum Kirchenoberhaupt 1978 sagte, die Jugend sei „die Zukunft der Welt und die Hoffnung der Kirche“. Der erste Weltjugendtag fand am Palmsonntag 1986 in Rom statt - mehr dazu in Weltjugendtage: Megaevents seit 1986. Auf den Philippinen wurde 1995 mit rund vier Millionen Teilnehmern ein absoluter Rekord erreicht.

Nina Goldmann; religion.ORF.at

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