Hirnforscher Joachim Bauer vor Monitoren mit Hirn-Aufnahmen

ORF/Langbein + Partner

„Wie Gewalt entsteht“ und „Das Hirn und ich“

Kurt Langbein begibt sich in zwei kreuz und quer-Dokumentationen - „Wie Gewalt entsteht“ und „Das Hirn und ich“ - auf die Suche nach den elementaren Funktionsmustern der menschlichen Psyche.

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ORF

Sendungshinweis

Dienstag, 18. Juni 2013
um 22.30 Uhr, ORF 2

Wiederholungen:

Mittwoch, 19. Juni 2013
um 20.15 Uhr, ORF III

Donnerstag, 20. Juni 2013
um 11.50 Uhr, ORF 2
(nur „Wie Gewalt entsteht“)

„Gewalt erzeugt Gewalt. Wir wissen, dass bei Menschen, die Gewalt erlebt haben, die Angstzentren sensibler werden und damit diese Person in ein höheres Risiko bringen, Angst oder Aggression zu erleben“, berichtet Neurobiologe Joachim Bauer von den Ergebnissen der Hirnforschung. Untersuchungen an 500 Opfern von Missbrauch und Gewalt durch kirchliche Einrichtungen belegen das – sie sind weit häufiger selbst wieder gewalttätig geworden als der Durchschnitt.

„Was man in diesen Mauern da kennengelernt hat, das war einfach brutale Gewalt, auch innerhalb der Gruppe, unter den Kindern. Wir waren auch brutal, wir waren Schweine. Wir haben das weitergeben“, erzählt Gewaltopfer Franz Joseph Stangl. Kurt Langbein wagt in seiner Dokumentation „Wie Gewalt entsteht“, die „kreuz und quer“ – präsentiert von Doris Appel – am 18. Juni 2013 zeigt, einen Streifzug durch wichtige Stationen der Geschichte.

Ist das Bewusstsein nicht mehr als ein neurochemischer Prozess? Wenn ja, was ist dann unser freier Wille, unser „Ich“? Lässt sich aus der modernen Hirnforschung ableiten, dass nicht unser Ich, sondern chemische und physikalische Prozesse in den Neuronen entscheiden, was wir denken und wollen? Oder ist das eine reduktionistische Verzerrung der Realität? Gibt es einen freien Willen? In der anschließenden Dokumentation „Das Hirn und Ich“ (23.15 Uhr) verfilmt Kurt Langbein eine Art Wettbewerb zwischen den deterministischen Thesen und den Verfechtern eines freien Willens anhand von Beispielen aus dem menschlichen Alltag.

„Wie Gewalt entsteht“

Gewalt entstand durch Sesshaftigkeit. Archäologische Befunde zeigen, dass die Jäger und Sammler relativ friedlich lebten; sie gingen einander eher aus dem Weg, als einander im Konfliktfall den Schädel einzuschlagen. Erst mit dem Ackerbau und der Errichtung der ersten Dörfer entstand heftige Gewalt unter den Menschen. „Gewalt ist kein Trieb“, erklärt Bauer, „Gewalt ist eine Reaktion auf Schmerz und Angst.“

Ausgrenzung erzeugt Gewalt. Experimente zeigen: Menschen sind bereit, rund 50 Prozent der Schmerzreize für Andere zu übernehmen – außer sie gehören verschiedenen Gruppen an. Testpersonen etwa, die Kleidungsstücke unterschiedlicher Fußballklubs trugen, zeigten deutlich geringere empathische Reaktionen und waren kaum noch bereit, anderen Testpersonen Schmerzen abzunehmen.

Ingroup und Outgroup als mörderisches Machtinstrument – diese Trennung in „uns“ und „die anderen“ wurde und wird in der Politik missbraucht. Die Geschichte des Nationalismus zeigt dies in erschreckendem Ausmaß – zuletzt in Srebrenica in Bosnien, als 8.400 Menschen ermordet wurden.

„Wir müssen Lehren daraus ziehen, dass es 50 Jahre nach dem Holocaust wieder möglich war, mit derselben Ideologie, nämlich nationalistischer Verhetzung, die Menschen dazu zu bringen, ihre Nachbarn in einem Völkermord zu töten“, sagt Menschenrechtsexperte Manfred Nowak, der lange als Richter des Internationalen Gerichtshofs in Bosnien war: „Die Demokratie muss entschlossen gegen alle vorgehen, die andere zu rassischem, religiösem Hass aufhetzen.“

Ein Film von Kurt Langbein

John-Dylan Haynes, Kognitionsforscher vom Berliner Bernstein-Center

ORF/Langbein & Skalnik

John-Dylan Haynes, Kognitionsforscher vom Berliner Bernstein-Center

„Das Hirn und Ich“

„Wenn das Bewusstsein das Resultat von Gehirnprozessen ist, dann werden wir bei unserem künstlichen Gehirn bald ebenfalls eine Art Bewusstsein sehen.“ Henry Markram, Hirnforscher im Schweizerischen Lausanne, hat mit seinem „blue brain“-Projekt neue Maßstäbe in der Hirnforschung gesetzt. In einem der größten Computer der Welt arbeiten 10.000 elektronische Klone von Hirnzellen selbstständig, wie im Gehirn. Schon in zehn Jahren will Markram das menschliche Hirn komplett nachgebaut haben.

Die Hirnforschung hat in den vergangenen 20 Jahren enorme Fortschritte gemacht. Doch fast alle optimistischen Einschätzungen, nun dem Verständnis des komplexesten Organs ganz nahe gekommen zu sein, haben sich als verfrüht herausgestellt. „Wenn das Gehirn so einfach wäre, dass wir es verstehen könnten, dann wären wir so einfach, dass wir es nicht verstehen könnten“, resümiert der Berliner Hirnforscher John-Dylan Haynes.

Haynes selbst hat mit einem Experiment Aufsehen erregt: Versuchspersonen in einem Kernspintomografen sollten ganz nach ihrem Gutdünken den Knopf links oder rechts drücken. Mit einer speziellen Software konnte Haynes die Aktivitätsmuster erkennen und vorhersagen, welchen der beiden Knöpfe der Proband drücken wird – und zwar bereits sieben Sekunden bevor die Versuchsperson eine bewusste Entscheidung traf. Das würde bedeuten, dass das Gehirn längst entschieden hat, bevor wir meinen zu entscheiden. Philosophen wie Peter Strasser widersprechen dieser Schlussfolgerung. Und tatsächlich gibt es auch wissenschaftliche Beispiele, wie sehr das Bewusstsein auf das Nervensystem einwirkt, etwa den Placebo-Effekt.

Ein Film von Kurt Langbein