Nach IS-Ultimatum: Alle Christen aus Mossul geflohen

Es ist ein beispielloser Exodus: Nach Ablauf eines Ultimatums der islamistischen Terrorgruppe „Islamischer Staat“ (IS) haben auch die letzten Christen die nordirakische Stadt Mossul verlassen.

Die Christen der einst multireligiösen Stadt waren vor die Wahl gestellt worden, zu konvertieren, Schutzgeld zu zahlen oder zu gehen. Zuletzt hätten noch rund 500 christliche Familien in der Stadt gewohnt, sagte am Sonntag der Erzbischof der syrisch-katholischen Kirche in Mossul, Johanna Petros Mouche, gegenüber der irakischen Nachrichtenwebsite Shafaaq News. Sie seien am Wochenende in christliche Dörfer oder in die kurdischen Autonomiegebiete geflohen.

„Erstmals in der Geschichte des Irak gibt es keine Christen mehr in Mossul“, sagte der chaldäisch-katholische Patriarch Louis Sako. Augenzeugen sagten, die Christen seien über die Lautsprecher der Moscheen aufgefordert worden, die Stadt bis Samstag zu verlassen. Einwohner berichteten, Flüchtlingen seien an Kontrollposten all ihr Geld und ihr Schmuck abgenommen worden.

Mann in verzweifelter Pose auf Balkon

Reuters/Stringer

Ein christlicher Mann auf der Flucht aus Mossul

Die religiöse Minderheit der Christen war bereits in der vergangenen Woche in einer Erklärung der Islamisten, die Mossul und die umliegenden Gebiete seit einem Monat kontrollieren, aufgerufen worden, zum Islam zu konvertieren und eine Sondersteuer zu zahlen. Andernfalls müssten sie ihre Häuser und die Stadt verlassen. Weigerten sie sich, „wird es für sie nichts als das Schwert geben“, hieß es in einem Flugblatt - mehr dazu in Bischof: IS verlangt Schutzgeld von Christen in Mossul.

Häuser werden von IS beschlagnahmt

Laut der Erklärung sollen die Häuser der fliehenden Christen an IS fallen. Der Patriarch und Augenzeugen berichteten, Rebellenkämpfer hätten in den vergangenen Tagen die Häuser von Christen mit einem „N“ für Nassarah markiert. Dies ist der im Koran verwendete Begriff für Christen. Die christliche Minderheit, die seit der Frühzeit des Christentums im Irak lebt, war in den vergangenen Jahren immer wieder Bedrohungen und Angriffen ausgesetzt.

Mossul hatte eine der ältesten christlichen Gemeinden der Welt. Vor der US-Militärintervention 2003 lebten hier Zehntausende Christen. Insgesamt umfasst die christliche Gemeinschaft im Irak chaldäische, assyrische und orthodoxe Gruppen. Zahlenmäßig ist die landesweite Präsenz in den vergangenen Jahren von einst mehr als einer Million - davon 600.000 allein in der Hauptstadt Bagdad - auf mittlerweile weniger als 400.000 erodiert.

Frau sitzt auf Matratzenlager vor Christusstatue

Reuters/Stringer

Einige Christen haben in Kirchen kleiner Dörfer Unterschlupf gefunden

Laut Patriarch Sako wagten es nach dem Ultimatum nur wenige, in Mossul zu bleiben. Einer von ihnen ist der 36-jährige Lehrer Fadi. „Ich bleibe. Ich fühle mich bereits tot“, sagte Fadi per Telefon. Er könne sich eine Flucht nicht leisten. Zudem seien die Aussichten für die Flüchtlinge kaum besser. Beim Verlassen der Stadt seien vielen Christen all ihre Habseligkeiten abgenommen worden. Er habe nur noch seine Seele zu verlieren, sagte Fadi.

UNO: „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“

UNO-Generalsekretär Ban Ki Moon stufte die Vertreibunder Christen aus Mossul als mögliches „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ ein. Ban erklärte am Sonntag, er verurteile die „systematische Verfolgung von Minderheiten im Irak“ durch die Extremisten und mit ihnen verbündete Gruppen aufs Schärfste.

Auch Papst Franziskus rief beim sonntäglichen Angelus-Gebet nachdrücklich zu einem Ende der Gewalt auf: „Unsere Brüder werden verfolgt, verjagt, sie müssen ihre Wohnungen verlassen, ohne die Möglichkeit zu haben, etwas mit sich zu bringen“, sagte der Papst. Auch alle Christen rief er auf, für das Ende der Konflikte in mehreren Teilen der Welt zu beten. „Möge der Gott des Friedens in jedem einen echten Wunsch nach Dialog und Versöhnung wecken. Gewalt wird nicht mit Gewalt besiegt, sondern mit Frieden“, versicherte der Papst.

Der österreichische Außenminister Sebastian Kurz (ÖVP) verurteilte am Sonntag in einer Aussendung „das Ultimatum von IS an die in Mossul lebenden Christen und anderen religiösen Minderheiten auf das Schärfste“ und rief zur Bildung einer Regierung der nationalen Einheit aus Schiiten, Sunniten und Kurden auf. „Geschockt und entsetzt“ über die Berichte aus Mossul zeigte sich auch der Wiener Landtagsabgeordnete und gebürtige Iraker Omar Al-Rawi in einer der APA am Samstag übermittelten Stellungnahme. Es sei dafür zu sorgen, dass die Vertriebenen wieder sicher in ihre Stadt zurückkehren können. „Wer hier schweigt, macht sich mitschuldig.“

APA/AFP/KAP/dpa

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