Papst Franziskus mit Mitra, Umhang und Stab
APA/AP/Alessandra Tarantino
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Orthodoxie

„Patriarch des Westens“: Reaktionen auf Papst-Titel

Unterschiedlich bewerten österreichische orthodoxe Theologen die Wiederaufnahme des Titels „Patriarch des Abendlandes“ durch Papst Franziskus. Papst Benedikt XVI. hatte den Titel „Patriarch des Okzidents“ (Westens bzw. Abendlandes) 2006 aus der Liste der Papst-Titel streichen lassen. Franziskus führte ihn vor rund zwei Wochen wieder ein.

Benedikt XVI. hatte damals Irritationen bei den Kirchen des Ostens ausgelöst. Die Wiedereinführung wird folgendermaßen beurteilt: Während der Grazer orthodoxe Theologe Grigorios Larentzakis darin einen wichtigen ökumenischen Schritt sieht, zeigt sich der Wiener orthodoxe Theologe Ioan Moga skeptisch.

„Die Ökumene braucht konkrete Schritte und Taten, nicht nur schöne Worte und Absichtserklärungen“, befindet Larentzakis in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber Kathpress. Ein solcher konkreter ökumenischer Schritt ist für ihn die Wiedereinführung des historischen Titels „Patriarch des Westens“.

Kritik an felhlender Erklärung

„Damit wurde eine unnötige Änderung durch Papst Benedikt XVI. rückgängig gemacht und die historische und von den gemeinsamen Ökumenischen Konzilien des ersten Jahrtausends synodal beschlossene kirchliche Struktur wiederhergestellt“, so Larentzakis.

Weit weniger enthusiastisch sieht dies Moga. Das Problem beim Verzicht 2006 sei nicht der Verzicht an sich gewesen, sondern die fehlende Erklärung, so Moga gegenüber Kathpress: „Das hat vor allem irritiert. Jeder konnte das unterschiedlich deuten, weil der Verzicht ein Deutungsvakuum hinterließ.“ Papst Benedikt XVI. habe damals wie auch später keinen Grund gehabt, die Orthodoxen zu brüskieren.

Unfehlbarkeit des Papstes bleibt Reibepunkt

Dasselbe Problem habe man aber auch heute, so Moga: „Ein historischer Titel wird wiedereingeführt, aber ohne Absichtserklärung, ohne Deutung. Ein später, unerklärter Verzicht auf den unerklärten Verzicht.“ Nachsatz: „Ökumene verdient mehr.“

Im Übrigen habe der Titel „Patriarch des Abendlandes“ schon davor in der orthodox-katholischen Diskussion kaum eine Rolle gespielt, so Moga: „Das Problem war und ist das Jurisdiktionsprimat. Das bleibt, mit oder ohne symbolische Titel, nach wie vor offen.“ Das Jusidiktionsprimat ist die Unfehlbarkeit päpstlicher Lehrentscheidungen. Die römisch-katholische Kirche beansprucht den Vorrang des Papstes als Führer aller Christinnen und Christen. Das ist einer der Gründe für die Teilung in die verschiedenen christlichen Konfessionen.

Ordnung der fünf Patriarchate

Papst Franziskus habe sich mit dem Titel „Patriarch des Westens“ wieder in die altkirchliche Struktur der selbstständigen Patriarchate eingefügt, meint hingegen Larentzakis. Auch habe er für sich schon die Bezeichnung „Vorsitzender in der Liebe“ verwendet, was nichts anderes sei als die Position des „primus inter pares“ in der Pentarchie, in der Ordnung der fünf Patriarchate, wie es beim vierten Ökumenischen Konzil in Chalzedon (451) beschlossen wurde: Rom, Konstantinopel, Alexandrien, Antiochien und Jerusalem.

Dies entspreche nicht nur der Auffassung der Frühkirche, sondern auch der Orthodoxen Kirche bis heute, so Larentzakis. Wobei: „Dem Ersten Patriarchen unter Gleichen, dem Bischof von Rom, kann natürlich nicht nur eine Ehre erwiesen werden. Er könnte, gebunden innerhalb der Synodalität der Gesamtkirche einvernehmlich, auch gesamtkirchliche Dienste, Aufgaben und auch Rechte wahrnehmen.“ Diese Kompetenzen des Bischofs von Rom müssten freilich im Dialog auf Augenhöhe festgelegt und beschlossen werden.

Das Fazit von Larentakis: „Die neueste Handlung des Bischofs von Rom (…) kann von orthodoxer Seite als ein deutlicher ökumenisch hilfreicher Schritt und als eine vertrauensbildende Maßnahme nur bejaht und begrüßt werden.“

Moga: „Ein Relikt aus der Vergangenheit“

Wie Moga in seinen Ausführungen schreibt, habe er 2006 die Aufregung unter einigen orthodoxen Theologen nicht verstanden, denn: „Ein Relikt aus der Vergangenheit, das in der römisch-katholischen Ekklesiologie keine Relevanz mehr hat, darf bei einer ernsten ökumenischen Diskussion nicht überschätzt werden.“ Auch wenn die Ekklesiologie eine historisch-theologische Dimension hat, müsse Ökumene die aktuelle kirchliche Realität und das aktuelle ekklesiologisches Selbstverständnis des Gesprächspartners im Blick haben.

Das ins Gespräch gebrachte Modell der „Pentarchie“ entspreche „selbst in der Orthodoxen Kirche nicht (mehr) einer Realität, außer, dass die vier alten Patriarchate in der Ehrenreihenfolge an den ersten Stellen sind“. Es handelt sich laut Moga bloß um Referenzpunkte für die Kirchengemeinschaft im ersten Jahrtausend. „Bloße Titel-Verzichte oder -Wiederaufnahmen werden uns an dieses altkirchliche Modell nicht näherbringen. Das wissen wir aus dem bisherigen Dialog. Es geht immer darum, was die jeweilige Kirche darunter versteht“, so der Theologe weiter.

„Wer gehört zum Abendland?“

Während die aktuellen „Patriarchen“-Titel in der orthodoxen Kirche einer kanonischen und ekklesiologischen Realität entsprechen, sei der Titel „Patriarch des Abendlandes“ letztendlich eine Hülse, befindet Moga: „Was bedeutet ‚Abendland‘ aus kanonischer bzw. ekklesiologischer Sicht? Wer gehört zu diesem Abendland dazu? Fühlen sich damit römisch-katholische Christinnen und Christen in Afrika und Asien angesprochen? Wenn nicht, zu welchem ‚Patriarchat‘ gehören diese? Was machen wir dann mit ‚Süd-Amerika‘?“

Den Titel „Patriarch des Abendlandes“ auf den römischen Ritus zu beziehen, halte er ebenfalls für problematisch, so Moga. Zusammenfassend sehe er in der Wiederaufnahme des Titels durch Papst Franziskus auch kein ökumenisches Zeichen Richtung Orthodoxie bzw. Richtung Ostkirchen.

Liste historischer Titel

Ein viel stärkeres Signal war für den Theologen hingegen im Jahr 2020, als im „Annuario Pontificio“ zum ersten Mal der Titel „Stellvertreter Jesu Christi“ – ein „ekklesiologisch und theologisch ein sehr problematischer Titel, den die Orthodoxie traditionell kritisiert hat“ – unter der neuen Rubrik „historischen Titel“ gelistet wurden. Die Einfügung der Kategorie „historische Titel“ zeige die Distanz des heutigen Papstes zu dieser Titulatur, so Moga: „Das war und das ist zu begrüßen.“

Ökumene-Experte begrüßt Entscheidung des Papstes

Eher auf Linie von Larentzakis hat sich unterdessen der Salzburger Orthodoxie-Experte Dietmar Winkler geäußert, wobei er aber auch Moga beipflichtet, dass mit dem Titel „Stellvertreter Christi“ (Vicarius Christi) heute nur mehr wenig anzufangen ist.

Winkler, Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Salzburg und Vorsitzender der Salzburger „Pro Oriente“-Sektion, hat den jüngsten Schritt des Papstes in einem Gastbeitrag in der aktuellen Ausgabe der Wochenzeitung „Die Furche“ jedenfalls ausdrücklich begrüßt. Die Tragweite dieses Titels verstehe man nur mit einem kurzen Blick in die Geschichte, so Winkler.

Fünf Zentren, eine Kirche

Im Zuge der ersten ökumenischen Konzilien des 4. und 5. Jahrhunderts bildeten sich fünf Zentren der Gesamtkirche heraus – Rom, Konstantinopel (das Neue Rom), Alexandrien (für Afrika), Antiochien (für große Teile Asiens) und Jerusalem (als Ort der Auferstehung des Herrn). Diese bildeten als Patriarchate gemeinsam die altkirchliche Pentarchie („Fünfherrschaft“), in der genannten Rangfolge. „Verwaltungsmäßig und in der seelsorgerischen Praxis sind diese fünf Kirchen voneinander unabhängig gewesen, in ihrem Glauben bildeten sie aber gemeinsam die eine Kirche Christi“, so Winkler.

Im 6. Jahrhundert habe diese polyzentrische überregionale Kirchenstruktur in die theologische Literatur und das kirchliche Recht Einzug gehalten und noch im 9. Jahrhundert habe dies selbst im Westen als passendes Konzept der Kircheneinheit gegolten. Ein solches sei die Pentarchie für die Orthodoxie als Modell der Einheit in der Vielfalt bis heute, betont Winkler.

Reihenfolge keine Unterordnung

Die Reihenfolge bedeutet dabei keine Unterordnung der nachgenannten Patriarchate unter jenes von Rom, sondern die Verleihung des Ehrenvorsitzes an den Bischof von Rom im Sinne eines „primus inter pares“ (Ersten unter Ranggleichen). Durch die Trennung von Ost- und Westkirche sei heute in der Orthodoxie das Ökumenische Patriarchat von Konstantinopel an die erste Stelle gerückt.

Konzept des „primus inter pares“

Mit der Wiederannahme des Titels „Patriarch des Abendlandes“ greife Franziskus auf das Konzept des „primus inter pares“ zurück und stehe damit konsequent in Kontinuität mit seinen ersten Papstworten vom „Vorsitz in der Liebe“ und seinem derzeitigen Wirken für eine synodale Kirche, schreibt Winkler. Dass der Ökumenische Patriarch von Konstantinopel, Bartholomaios I., als einer der Ersten über die Wiedereinführung informiert wurde, „passt da gut ins Bild“.

Wie Winkler zudem bemerkte, dürfte Franziskus mit der Entscheidung gewartet haben, um seinen Vorgänger nicht zu Lebzeiten zu brüskieren. Es sei zunächst „nicht unbedingt ein Schaden“, Papst-Titel abzustreifen, Benedikt XVI. hätte jedoch besser den Titel „Stellvertreter Christi“ (Vicarius Christi) tilgen sollen, der erst unter Papst Innozenz III. (gest. 1216) eingeführt worden war und den „Gipfelpunkt päpstlicher Macht“ verkörpert habe, so der Ostkirchen-Experte.

„Vorsitz in der Liebe“

Bereits zu Beginn seines Pontifikats habe Papst Franziskus sein Amts- und Primatsverständnis angedeutet. Er habe auf ein sehr frühes Verständnis der römischen Kirche hingewiesen und gesagt, „dass Bischof und Volk den Weg der Kirche gemeinsam gehen mögen“, und er habe die Kirche von Rom als jene charakterisiert, „die den Vorsitz in der Liebe führt“.

Damit habe Franziskus auf einen der frühesten Kirchenväter, Ignatius von Antiochien, verwiesen, der dies um 110 in seinem Brief an die Römer auf dem Weg ins Martyrium schrieb, so Winkler: „Ignatius schrieb der Kirche von Rom zweifellos einen Ehrenplatz zu, aber dieser hat nichts mit späteren päpstlichen universalen Primats- und Jurisdiktionsideen zu tun. Franziskus verweist also auf eine frühkirchliche Praxis, die Rom nicht über anderen Gemeinden im Sinne von Machtausübung sieht.“

„Bischof inmitten des Volkes“

Ferner komme bei Papst Franziskus ein Amtsverständnis zum Ausdruck, „das den Bischof inmitten des Volkes sieht“. Bereits in der ersten Predigt bei der Eucharistiefeier mit den Kardinälen in der Sixtinischen Kapelle habe Franziskus das gemeinsame Gehen mit Christus und Bauen der Kirche in den Mittelpunkt gestellt. Dieses gemeinsame Gehen setze er konsequent mit dem gegenwärtig weltweit viel diskutierten synodalen Prozess um, so Winkler.