Lebenskunst 27.9.2020, Karl Schauer

Bibelessay zu Matthäus 21,28-32

Das Evangelium, das an diesem Sonntag in katholischen Gottesdiensten verkündet wird, hat mich irgendwie immer schon angesprochen und je älter ich werde und je länger ich in dieser Kirche arbeite, umso mehr fasziniert es mich.

Vielleicht spiegelt es ein gutes Stück meines eigenen Suchens wider. Das meint meine Bereitschaft und meine Müdigkeit zugleich, meine Offenheit, mich dem Anspruch jenes Gottes zu stellen, von dem die Bibel erzählt, und meine Verbohrtheit, so zu tun und zu leben, als könnte ich mich diesem Gott entschlagen.

P. Karl Schauer
ist Bischofsvikar der römisch-katholischen Diözese Eisenstadt

Geh und arbeite heute im Weinberg

Nur eines grundsätzlich: Wo es um mich und diesen menschgewordenen, ja menschlichen Gott geht, sind mir Perfektionismus und Leistung fremd. Die moralische Entrüstung mancher „Frommer“ ist eher der Heiligenschein der Scheinheiligen und spricht nur wenig von der Freiheit der Kinder Gottes.

Gott aber, wie ich ihm begegnen darf, gängelt nicht, er zwingt nicht, er droht nicht, er rächt sich nicht am Geschöpf und seiner Schöpfung, vielmehr: Er lädt ein, er ruft und beruft, er schenkt Versöhnung und Neuanfang, er traut mir viel zu und er vertraut mir. Er ringt mit mir, er lässt nicht locker und ich ahne, dass er mich immer aufleben lässt, auch wenn mein Leben zerbrechlich, fragmentarisch und hinfällig ist. Der Mensch ist kein Objekt Gottes, sondern sein Gegenüber, Partner, Mitarbeiter, sein Vis-à-vis. Wer glaubt und diesem Gott vertraut, ist nicht klein und schwach, sondern groß und wächst über sich hinaus. So jedenfalls habe ich ihn erfahren und erfahre ihn immer wieder neu.

Lebenskunst
Sonntag, 27.9.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Im Weinberg Gottes arbeiten, das ist keine Frömmigkeitsübung und keine Pflichterfüllung. Wer aber für diesen Einsatz immer bereit wäre und niemals hadert, wer alles kann und alles weiß, wer nie stolpert und nie zweifelt, der gibt auch diesem Gott keine Chance mehr. Er rechnet nicht wirklich mit ihm. Gott als Freizeitbeschäftigung, als Beruhigungspille, Gott als Droge für schnelle spirituelle Glücksmomente, positive Lebensbewältigung und Vertröstung, – das alles hat eigentlich nichts mit dem Gott der Bibel zu tun. Das Wort Gottes in der Heiligen Schrift – das in der Bibel allen Generationen zugesagt wird, die Begegnung mit Gott in den Sakramenten – wirklich geworden im Leben der Menschen, all das sind keine Privilegien für wenige.

Ohne Abstand und Masken

Und so kann ich Menschen gut verstehen, die die Einladung zur Mitarbeit im Weinberg zuerst ausschlagen, später aber den Weg der Gewohnheit verlassen, und sich nicht mit Selbstgefälligkeiten zufriedengeben. Die Fernstehenden, die von der Kirche Enttäuschten, die Verwundeten und Schuldiggewordenen, die im Leben Überforderten, die Gottfremden, Gottzweifler und Gottleugner, die von der Kirche Ausgeklammerten und von der Gesellschaft an den Rand Gedrängten, sind oft jene, die offen und bereit sind, ihre Geschichte mit Gott und den Menschen zu schreiben, wenn auch zaghaft, skizzenhaft, unvollendet, aber ehrlich.

Im Weinberg des Herrn arbeiten, das geht ohne Testen, Abstand halten und Masken tragen, aber mit der Zuversicht und dem Vertrauen, dass Gott mich braucht, gerade dann, wenn das alltägliche Leben von Unerwartetem durchkreuzt wird.

Wenn ich sagen darf, dass ich in allem Auf und Ab meines Lebens das Wagnis mit Gott nie bereut habe, dass mein Hunger nach Leben auch mit meinem Hunger nach Gott zu tun hat, dass die Hoffnung auf die Überraschungen stärker ist als das Festhalten am Gestern meiner Erinnerungen, dass die Müdigkeit nicht siegt über meine Bereitschaft, seine Einladung anzunehmen, dass die Sehnsucht nach Zukunft größer ist als das Ausharren im Schatten des Augenblicks, wenn ich es so sagen darf, dann hat ein großes Abenteuer bereits begonnen, vielleicht auch das Abenteuer mit Gott, voller Überraschungen für mich. Eigentlich komme ich von ihm nicht los, und ich zweifle auch, ob ich es überhaupt möchte.