Lebenskunst 4.10.2020, Christine Hubka

Bibelessay zu Markus 8,1-9

Ich stehe vor dem Kühlregal im Supermarkt. Joghurt steht auf dem Einkaufszettel. Ich fange an zu zählen: Über 100 verschiedene Joghurt-Varianten füllen das Regal. Das ist viel. Viel zu viel.

Trotz dieser Überfülle an Waren habe ich aber auch immer wieder das Gefühl: Es ist nie genug. Oder andersherum gesagt: Es ist immer zu wenig. Dieses „ES“, von dem es zu wenig gibt, kann mancherlei sein. Zu wenig Zeit. Zu wenig Ressourcen. Zu wenige Hände, die zupacken. Zu wenig Kraft. Vom Geld gar nicht zu reden. Das reicht hinten und vorne nicht. Ich rede von einer für mich spürbaren und wahrnehmbaren Angst rund um mich, dass „ES“ zu wenig ist. Dass „Es“ sich nicht ausgeht, liegt in der Luft.

Christine Hubka
ist evangelische Theologin und Gefängnisseelsorgerin

Lernstück in vier Lektionen

Dieses „Es geht sich nicht aus“ befällt auch die Situation in dieser kleinen biblischen Episode. Reflexartig stellen die Jünger, also die Schüler von Jesus aus Nazareth, fest: Es geht sich nicht aus. Jesus macht aus dieser schwierigen Situation ein Lernstück. Die erste Lektion, die er seinen Schülern gibt, lautet: Bevor ihr sagt: Es geht sich nicht aus, schaut doch erst einmal nach, was denn nun wirklich da ist. Er fragte sie: „Wie viele Brote habt ihr?“

Ich lerne aus dieser Geschichte, dass es klug ist, erst einen Kassasturz zu machen. Wieviel Zeit, wieviel Geld, wieviel Energie steht zur Verfügung? Wieviel Brot ist denn eigentlich da? Bevor ich, ohne nachzudenken und hinzufühlen sage: Es geht sich nicht aus.

Für mich ist an dieser Geschichte aber auch bedeutsam, was Jesus nicht sagt. Und das ist die zweite Lektion: Er sagt halt nicht: Das Problem dieser Leute geht mich nichts an. Es ist ja selbstverschuldet. Wie kann man von zu Hause für mehrere Tage in die Einöde gehen, ohne Proviant mitzunehmen. Hätten sie sich drum gekümmert, dann wären sie jetzt nicht in Not. Nie unterscheidet Jesus zwischen selbstverschuldeter und unverschuldeter Not. Das zu tun ist die Spezialität unserer Tage.

Lebenskunst
Sonntag, 4.10.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Es geht sich aus

Nun also: Nach dem ersten Hinsehen, sind da sieben Brote. Und beim nochmaligen Hinschauen finden sich auch einige Fische. Das ist nicht viel. Das ist aber auch nicht nix. Jetzt folgt Lektion Nummer drei: Was immer Jesus vor hat zu tun, er tut es vor aller Augen. Die Leute sollen sich hinsetzen. So kann jeder genau sehen, was geschieht. Hier wird nicht gemauschelt. Hier ist alles transparent.

Was die Leute und die Schüler von Jesus zu sehen bekommen, ist Lektion Nummer vier: Jesus dankt für das, was da ist. Er würdigt es. Er drückt seine Wertschätzung aus. Er nimmt es als Geschenk aus Gottes Hand. Niemand kann mehr achselzuckend sagen, das ist doch zum Leben zu wenig und zum Sterben zu viel. Vor aller Augen teilen seine Schüler dann aus, was da ist. Und Sie erleben: Der Gott, von dem Jesus erzählt, kann aus dem Wenigen, das wir bringen, viel machen.

Diese Erfahrung hat bei den Menschen rund um Jesus so sehr nachgewirkt, dass sie diese Geschichte in der Bibel in Varianten sechsmal aufgeschrieben haben. Ich meine: Es lohnt sich, sie immer wieder zu lesen, wenn die Angst aufkommt, dass sich etwas nicht ausgeht. Zur Erinnerung daran, dass Gott aus dem Wenigen, das wir bringen, viel machen kann.