Lebenskunst 22.11.2020, P. Karl Schauer

Bibelessay zu Matthäus 25,31-46

Mit diesem Sonntag, an dem die katholische Kirche auch das Christkönigsfest feiert, endet das Kirchenjahr. Mit dem kommenden 1. Adventsonntag beginnt eine neue Zeit, das neue Kirchenjahr.

In den derzeitigen Wochen der Einschränkungen und der engen Lebensgrenzen wäre es freilich übermütig, eine große Rückschau zu halten und große Zukunftspläne zu entwerfen. Und doch redet das Matthäus-Evangelium in der sogenannten Gerichtsrede von der Zukunft.

P. Karl Schauer
ist Bischofsvikar der römisch-katholischen Diözese Eisenstadt

Was bleibt am Ende des Lebens?

Das tun auch die Evangelienabschnitte, die in der katholischen Kirche für die ganze Adventzeit vorgesehen sind. Aus gutem Grund, wie ich meine. Ich glaube: Für Gott ist die Zukunft nicht abgesagt, er verschweigt sie nicht. Das Reich Gottes, das Leben in Fülle, die Gegenwart Gottes, die Gemeinschaft mit dem Auferstandenen und mit den von ihm Gerufenen, wird dir und mir zugesagt. Auch in einer Gesellschaft, die kaum mehr an ein Paradies, das ewige Leben und die Auferstehung des Fleisches glaubt, muss diese Glaubenswahrheit laut gesagt werden. Ein Glaube, eine Theologie, eine Spiritualität, die sich nur mehr am Diesseits innerhalb der Grenzen menschlichen Lebens orientieren, sind im Lockdown und haben sich bereits vom Gott des Lebens verabschiedet.

Es stimmt, dieser Blick in die Zukunft, oft auch missbraucht von Bildern eines schrecklichen Gerichtes und der ewigen Strafe, hat in vielen Menschen viel Angst ausgelöst. Doch weder das brutale Eintrichtern noch die Verharmlosung dieser von Gott eröffneten Zukunft der Königsherrschaft Christi ist für mich verantwortbar und akzeptabel. „Gott will, dass alle Menschen gerettet werden“, heißt es oftmals in der Hl. Schrift. Aber er nimmt die Freiheit des Menschen ernst. Er hält die Tür zur Umkehr, zum Neuanfang, nötigenfalls eine ganze „Ewigkeit“ lang offen.

Lebenskunst
Sonntag, 22.11.2020, 7.05 Uhr, Ö1

Diese große, universale Heilsperspektive, die noch ausstehende Begegnung mit dem Gott, von dem die Bibel erzählt, bestimmt irgendwie, in manchen Momenten meines Lebens auch mein Vertrauen, die intellektuelle Redlichkeit des Glaubens und den Spielraum meiner menschlichen Freiheit.

Der Gottesgraben durchzieht die Welt

Ich bin frei, Gott zu glauben, ihn zu finden in der Begegnung mit den Menschen und in der Wirklichkeit meiner oft armseligen und eingeschränkten Welt. Mitleidfähigkeit, Leidenschaft für die Menschen, die Fähigkeit, zu trauern, die Größe, einander viel zu verzeihen, die Sehnsucht, die mein Leben übersteigt, erden mein Leben und machen es wertvoll. Die Hungrige, der Durstige, die Fremde, der Nackte, die Kranke, der Sterbende, die Vereinsamte, der Weinende, die Geängstigte, der in Not Geratene haben wahrscheinlich mit Gott mehr zu tun als der Reiche und Schöne. Die Wunden des Lebens sind diesem Gott des Lebens nicht fremd. Er ist nicht abgehoben ins Jenseits, sondern gut aufgehoben in den Zwiespältigkeiten meines Lebens. Gottvertrauen, wie ich es erfahren habe, verführt nicht zu Leichtsinn, sondern weckt Verantwortung und ist eine Quelle des Mutes.

Jedenfalls, der Gottesgraben durchzieht die Welt und spaltet die Menschen. Gottes Macht, Gottes Liebe, seine Verheißung trennen, überfordern und trösten. Der Abgrund kann plötzlich unüberbrückbar sein. Die einen sagen: „Weil Gott den Tod zulässt und ich einen geliebten Menschen verloren habe – deshalb kann ich nicht an ihn glauben.“ Und die anderen sagen: „Nur weil ich an Gott glaube, kann ich diesen Verlust überhaupt verkraften.“ Dieser Gottesgraben durchzieht auch mein Leben. Und ich weiß, darüber lässt sich eigentlich nicht mehr reden und streiten.

Muss man an Gott glauben, um Gutes zu tun? Das kann ich so leicht nicht beantworten. Aber ich ahne, dass Gott auch durch mich Gutes in diese geschundene Welt einbringt. Und ich vertraue und glaube, dass das nie unterbrochene Warten Gottes auf die Seinen eine Hoffnung gibt, die auch in die Höllen des Lebens und dieser Welt hineinreicht.