Lebenskunst 14.3.2021, Gerhard Langer

Bibelessay zu Johannes 3,14-21

Das Johannesevangelium ist ein Beispiel dafür, wie sich ein Teil der frühen Kirche von seiner jüdischen Wurzel abzunabeln beginnt.

Die Autoren, die aus dem Judentum kommen, sparen nicht mit Polemik gegen ihre Herkunftsreligion. Vor allem die Gruppe der Pharisäer wird dabei als Gegner des Jesus von Nazareth dargestellt. Eine Ausnahme ist Nikodemus. Er wird als Pharisäer geschildert, der sich Jesus öffnet.

Gerhard Langer
ist katholischer Theologe und Professor für Judaistik

Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht

Dieser Teil des Evangeliums ist eingebettet in eine Rede Jesu an Nikodemus. Dieses Gespräch zwischen Jesus und Nikodemus findet nicht auf Augenhöhe statt. Der Jesus des Johannesevangeliums wirkt vielmehr abgehoben, wie ein überlegener Lehrer, der von oben herab über das Richtige und Falsche spricht und keinerlei Zwischentöne kennt. Wie so oft im Evangelium des Johannes geht es auch an dieser Stelle um eine unausweichliche Entscheidung, um Leben und Tod, um Sein oder Nichtsein. Die Autoren des Evangeliums greifen dabei zurück auf das Erste oder auch Alte Testament. Dort ist die Rede von Mose, der eine kupferne Schlange auf einem Stab anfertigte, die bei Schlangenbissen Heiligung versprach.

Die Schlange war zweifellos ein Symbol des Lebens und der Heilung. Im Johannesevangelium wird sie zum Sinnbild für die Rettung, zu einem Hinweis auf Jesus, der durch seinen Tod am Kreuz die Welt rettet. Auch wenn es dort heißt, dass Gott aus Liebe seinen Sohn hingab, um den Menschen ewiges Leben zu geben, spürt man hier in der Schilderung wenig von Liebe. Im Stakkato wird von einer Logik berichtet, der man nicht entfliehen kann. Jesus musste sterben und musste erhöht werden, damit die Menschen gerettet werden können. Doch geht dies nicht automatisch. Denn nur wer an diesen Jesus glaubt, wird gerettet und verfällt nicht dem Gericht. Wer nicht glaubt, ist schon gerichtet, so das Johannesevangelium. Ohnehin existieren nur Licht oder Finsternis. Nähme man diese Botschaft sehr wörtlich, gäbe es keine Rettung für jene, die nicht an Jesus glauben.

Lebenskunst
Sonntag, 14.3.2021, 7.05 Uhr, Ö1

Es ist nie zu spät, das Richtige zu tun

Doch am Schluss des Abschnittes findet sich eine erstaunliche Aussage: „Wer aber die Wahrheit tut, kommt zum Licht, damit offenbar wird, dass seine Taten in Gott vollbracht sind.“ Einen Spalt weit öffnen die Autoren des Johannesevangeliums die Tür für jene, die das Richtige tun. Nicht nur der Glaube unterscheidet die Menschen, sondern auch ihr Handeln. Wer richtig handelt und in seinem Leben gerecht ist, der agiert nicht in der Finsternis.

Ein ganz klein wenig versöhnt sich damit das Johannesevangelium mit dem Judentum, von dem es sich abgrenzen will, mit dem Judentum, für das richtiges Handeln mindestens ebenso wichtig ist wie Glaube. Und Licht wird im Judentum mit der göttlichen Weisung, der Tora identifiziert, nach der man handeln und leben soll. Es ist nie zu spät, das Richtige zu tun, sein Handeln an jenem Gott auszurichten, von dem in der Bibel erzählt wird, ganz unabhängig davon, ob man an Christus glaubt oder nicht.