Lebenskunst 21.3.2021, Karl Schauer

Bibelessay zu Johannes 12,20-33

War Jesus von Nazareth ein Populist oder ein Zukunftsträumer? Wie dachten die Juden und Griechinnen, wie denken wir? In Zeiten der Krisen, der Konflikte, der Verunsicherungen, der Kränkungen, der Polarisierungen kommt es immer wieder zu Kurzschlüssen, damals und heute.

Vor Egozentrismus und Narzissmus sind weder der Einzelne noch die Gesellschaft, weder die Politik noch die Kirche gefeit. Die Welt ist komplexer geworden, die Bruchlinien, die es immer schon gab, sind deutlicher geworden. Wer ist der Herrscher und Beherrscher dieser Welt, was ist die Herrschaft des Bösen? Die Antwort gibt das Evangelium, das am 5. Fastensonntag in den Messfeiern der katholischen Kirche verkündet wird, nicht. Aber es verweist auf Ihn und bewahrt davor, den Gott, von dem die Bibel erzählt, zum Kumpel zu machen, sein Wort zur Gebrauchsanweisung für billige Lösungen zu degradieren.

Karl Schauer
ist Benediktinerpater und Bischofsvikar der Diözese Eisenstadt

Was existenziell erden kann

Der Gott der Zumutungen bleibt. Die Gottesrede darf nicht verflachen. Alles, was den Menschen hart angeht, das ungefragte Dasein, die Unausweichlichkeit der Freiheit, der Schmerz, das Leid, das Gute und Böse darf nicht überspielt werden. Gott ist anders, ganz anders – das ist auch die Erfahrung meines an Jahren zunehmenden Lebens. Ob es mir gelingen wird, Gott größer zu denken, ihn nicht zum Kleingeld meiner Wünsche und Sehnsüchte zu machen, ihn nicht in den Abfallkübel meiner begrenzten Vorstellungen zu pressen – ich weiß es nicht, aber ich möchte es mir und vielen wünschen.

Auch möchte ich nicht gekränkt sein, dass mein Leben mit all den Einschränkungen im Moment die Erwartungen nicht erfüllen kann, sondern ich werde hoffentlich diese Zeit so gestalten und leben, dass ich später einmal dankbar zurückschauen und mit Staunen sagen darf, wie ich das alles bewältigt habe. Ich möchte die Kunst erlernen, diese Welt mit den Augen der Fantasie zu sehen, damit Neugier, Hoffnung, Zuversicht und Vertrauen in meinem Leben Platz haben. Ich möchte auch mit dem verlässlichen Impfstoff gegen Misstrauen, Angst, Enttäuschung und Wut, wie wir sie im Moment erleben, geimpft werden. Ich möchte ahnen dürfen, wie groß Liebe, Vernunft und die Fähigkeit zum Guten sind, wie groß ich als Mensch bin, und dass Leben unter allen Umständen einen tiefen Sinn hat.

Lebenskunst
Sonntag, 21.3.2021, 7.05 Uhr, Ö1

Alternativgeschichten erzählen

Der Mensch kann das Geheimnis Gottes verfehlen, aber auch das Geheimnis des eigenen Lebens. Oberflächlichkeit, Besserwisserei, Aggressivität, Populismus sind keine Wegweiser, sondern Hemmschuhe für mein Leben, sie machen es banal, zu einer abgedroschenen Phrase. Als Gott-Suchender möchte ich aber Alternativgeschichten erzählen, über das Arbeiten und Kaufen, über das Lieben und Leben. Und ich möchte nicht ausklammern, was mich existenziell erdet: Krankheit, Tod, Angst, das Böse und all das Gute.

Und zudem wird mir immer deutlicher: Gottes Geduld ist groß. Er steht dem verwundeten Menschen zur Seite. Wer Seine Liebe teilt, wird nicht aufgebraucht, davon bin ich überzeugt.