Lebenskunst 28.3.2021, Helga Kohler-Spiegel

Bibelessay zu Markus 11,1-11

Markus gilt als das älteste und kürzeste der vier Evangelien im Neuen Testament, er hat zum ersten Mal die Erinnerungen an die Verkündigung des Jesus von Nazareth mit der Leidensgeschichte verbunden und dies „Euangelion – frohe Botschaft“ genannt, entstanden wohl kurz vor oder nach der Zerstörung des Tempels in Jerusalem 70 n.Chr. durch die Römer.

Die Erzählung folgt der Geografie: In der Wüste beginnend, hält sich Jesus in Galiläa auf – es ist dies eine frohe Zeit mit vielen Begegnungen, Gesprächen und Heilungen. Es folgt der Weg von Galiläa nach Jerusalem, die Konflikte mit politisch und religiös wichtigen Gruppen nehmen zu. Mit dem „Einzug Jesu in Jerusalem“ beginnt die Zeit in der Stadt, der Weg Jesu endet im Grab, später wird die Erzählung von der Auferstehung beigefügt.

Helga Kohler-Spiegel
ist Theologin und Psychoanalytikerin in Feldkirch in Vorarlberg

„Dein König kommt demütig und reitet auf einem Esel“

Markus erzählt. Und wenn Menschen erzählen, schließt das mit ein, dass ich mit der eigenen Erzählung eine Botschaft mitgeben will, die mir wichtig ist. Ich kann z.B. vom Verlust einer lieben Person erzählen – und ihre Stärke, ihre Lebensfreude und ihre Kreativität in den Vordergrund stellen. Oder ich kann das Leid betonen und den Verlust für mich. Im Erzählen deuten wir, wir heben manches hervor und lassen anderes weg, erzählen heißt, im Erzählen das Erlebte zu deuten. In diesem Sinn erzählt auch das Markusevangelium.

Die so bekannte Szene vom Einzug in Jerusalem wird etwas kompliziert erzählt, zwei Jünger erhalten zuerst einen Auftrag, dann führen sie ihn genau so aus und es kommt zur Jubel- und Freudenbegegnung mit Jesus von Nazareth, Jesus wird empfangen wie ein König. Die Erzählung will, dass es alle Hörerinnen und Hörer des Evangeliums verstehen: Hier kommt ein König, aber keiner, der gierig und korrupt auf Macht und Geld ausgerichtet ist. Hier kommt keiner auf dem „hohen Ross“, sondern einer, der auf einem Esel reitet, bescheiden und ruhig.

Auf Prophet/innen hören

Der Einzug in Jerusalem ist eine eindrückliche Symbolhandlung, sie zeigt, wer Jesus ist, der Prophet Sacharia 9,9 gibt im Ersten oder sogenannten Alten Testament schon die Vorlage und die Deutung: „Juble laut, Tochter Jerusalem! Siehe, dein König kommt zu dir. Er ist gerecht und hilft; er ist demütig und reitet auf einem Esel.“

Lebenskunst
Sonntag, 28.3.2021, 7.05 Uhr, Ö1

In der Tradition der Prophetinnen und Propheten sind immer wieder solche symbolischen Handlungen überliefert. Prophetinnen und Propheten haben in der Bibel der Juden und Christinnen die Aufgabe, mit diesem Gott der Bibel verbunden die Zeichen der Zeit zu erkennen und aus dieser Haltung heraus die Konsequenzen zu benennen, die das Verhalten einzelner Menschen oder einer Gruppe oder eines ganzen Volkes haben wird. So sind Prophetinnen und Propheten immer wieder warnend aufgetreten, sie wurden verfolgt, eingesperrt und manchmal auch ermordet – das gilt in der Geschichte und in der Gegenwart.

Auch heute wissen wir von Menschen, die sich einsetzen für Gerechtigkeit und Frieden – und dafür verfolgt und ermordet werden. Die Bibel lehrt: Es ist wichtig, von diesen Menschen zu erzählen, immer und immer wieder. Und wenn Jüdinnen und Juden derzeit Pessach feiern, die Erinnerung an den Auszug der Israelitinnen und Israeliten aus der Sklaverei, dann geht es bei diesem Fest auch darum: beizutragen, dass es ein bisschen gerechter und freier und friedvoller sein möge – wo immer Menschen etwas dazu beitragen können.