Lebenskunst 4.4.2021, Susanne Heine

Bibelessay zu 1 Korinther 15,12-14

Ostern ist Auferstehung! In seinem ersten Brief an die Gemeinde in Korinth widmet der Apostel Paulus der Auferstehung das ganze Kapitel 15.

Durch das gesamte Jahr, besonders zu Ostern, sehen die Leseordnungen aller christlichen Kirchen Ausschnitte aus diesem Kapitel vor. Mich beeindrucken vor allem die folgenden Worte:

Susanne Heine
ist evangelische Theologin und Religionspsychologin

Um des Lebens willen: Von der Auferstehungskultur „Ostern“

„Wenn aber verkündet wird, dass Christus von den Toten auferweckt worden ist, wie können dann einige von euch sagen: Eine Auferstehung der Toten gibt es nicht? Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferweckt worden. Ist aber Christus nicht auferweckt worden, dann ist unsere Verkündigung leer, leer auch euer Glaube“ (1Kor 15,12-14).

Damals im Römischen Reich: Tausende sind am Kreuz hingerichtet worden, vor allem Aufständische gegen die Staatsgewalt. Darunter Jesus aus Nazareth, ein Unschuldiger. Und heute: Der Karfreitag ist zwar vorbei, aber nicht die Gewalt. Kriege, Terror, Korruption, Unrecht, Betrug: überall auf der Welt immer dasselbe. Ich mag schon gar nicht mehr Nachrichten hören. Alles sträubt sich in mir, das einfach zur Kenntnis zu nehmen.

Gerechtigkeit gegen menschliches Unrecht

Aber heute ist Ostersonntag – ein Anlass, diesen ganzen Horror zu vergessen? Das geht allerdings nicht so leicht, und aus der Verzweiflung über die ungesühnten Verbrechen in der Welt wird die Hoffnung auf die Auferstehung der Toten geboren, die alle drei monotheistischen Religionen verbindet: Einmal wird die ganze Menschheit vor dem unbestechlichen Gott stehen, der ausgleichende Gerechtigkeit schafft.

Lebenskunst
Ostersonntag, 4.4.2021, 7.05 Uhr, Ö1

Wie soll ich mir das vorstellen, dass die Toten wieder lebendig werden? Das hat noch niemand erlebt. Schon damals in Korinth haben die Leute ihre Zweifel gehabt. Umgekehrt ist der Einspruch des Paulus dagegen nach wie vor aktuell. Kann und darf unschuldig vergossenes Blut ungesühnt bleiben? Nein, findet der aufgeklärte Philosoph Immanuel Kant und sieht darin die Vorstellung eines Lebens nach dem Tod begründet. Lässt sich wiedergutmachen, was Menschen einander an Grausamkeit antun? Kaum, und so bleibt ein Gefühl der Leere, seit die Hoffnung auf Auferstehung verloren gegangen ist, beklagt der Philosoph Jürgen Habermas in einer Rede aus dem Jahr 2001.

Die Auferstehung des Jesus von Nazareth setzt die Auferstehung der Toten voraus: „Wenn es keine Auferstehung der Toten gibt, ist auch Christus nicht auferweckt worden“, sagt Paulus. Am Ostersonntag darf der Jubelruf „Halleluja“ wieder erklingen, der während der 40-tägigen Bußzeit vor Ostern in den Gottesdiensten verstummt war. Gott wird gepriesen, weil er seine Gerechtigkeit gegen menschliches Unrecht durchsetzt. Die Auferstehung lässt sich vom Kreuz nicht trennen.

Ein Fest der Zuversicht

Das letzte Gericht ist in Predigten über Jahrhunderte dazu benutzt worden, Angst zu verbreiten, um Menschen den kirchlichen Autoritäten hörig zu machen. Damit ist Schluss. Ostern bedeutet: Der zu Unrecht Hingerichtete wird zum gerechten Richter, dem der Evangelist Matthäus eine große Szene widmet: Ich war hungrig, und ihr habt mir zu essen gegeben, heißt es da. Aber auch: Ich war nackt, und ihr habt mir nichts zum Anziehen gegeben. Ich war fremd, und ihr habt mich nicht aufgenommen. Wer Menschen Schaden zufügt, Hilfe verweigert, Schuld vertuscht, kommt nicht mehr durch. Wer beschädigt und alleingelassen wird, erhält eine Stimme und wird gehört. Gewürdigt und geachtet wird, wer eigenes Versagen anerkennt.

Mit Religion verhält es sich wie mit der Kunst: Sie ist keine Nachricht über die Wirklichkeit, sondern erzählt von einer Haltung, die ich gegenüber der Wirklichkeit einnehmen kann, um nicht in Depressionen zu fallen. Ostern ist ein Fest der Zuversicht, dass die Schrecken der Welt nicht das letzte Wort haben, und fordert zugleich dazu heraus, der realen Todeswelt eine Auferstehungskultur einzuschreiben: Lieder gegen den Krieg, Bilder gegen das Vergessen von Schuld, auch: Verfolgte schützen, Arme versorgen, Leidenden beistehen, Fremde aufnehmen. Und das ohne zu fragen: Sind die das wert? Gewinne oder verliere ich dadurch Wählerstimmen? Nein, einfach so – um des Lebens willen: Das wäre für mich ein Osterlicht noch in dieser Welt. Vielleicht nicht nur für mich?