Lebenskunst 11.4.2021, Josef Schultes

Bibelessay zu Johannes 20,19-31

Das Evangelium nach Johannes: Ich empfinde es wie einen Brunnen. Erfüllt vom Klang der Stille. Licht von oben fällt auf das ruhige Wasser in der Tiefe. Klar steigt es auf aus einer Quelle, die nie versiegt. Wasser des Lebens im Kristallglas der Zeit. Kostbare Worte, die Durst stillen können. Allen Durst.

Für mich ist „mein Herr und mein Gott“ eines dieser Worte aus dem Brunnengrund. Von Johannes meditiert, in Gemeinschaft mit anderen reflektiert und dann in eine schriftliche Form gebracht. Als Bibeltext über viele Generationen von Glaubenden achtsam tradiert und – eben zu hören, an diesem Weißen Sonntag.

Josef Schultes
ist katholischer Theologe und Bibelwissenschaftler

„Noch viele andere Zeichen“

„Mein Herr und mein Gott“. Das Evangelium nach Johannes ist keine Biografie, sondern theologisches Bekenntnis. Verfasst wird diese Schrift am Ende des ersten oder zu Beginn des zweiten Jahrhunderts. Damals herrschen Domitian oder Trajan über das gewaltige Römische Reich. Beide Imperatoren lassen sich, dem Kaiserkult entsprechend, als „dominus et deus“ verehren. „Herr und Gott“: Bei meinen Studienreisen auf den Spuren der Bibel habe ich es immer wieder entdeckt, an den Wänden von Tempeln und über dem Eingang zu Theatern. „DOMINO ET DEO“, dem „Herrn und Gott“ gewidmet, mit Großbuchstaben in Stein gemeißelt. Oft in Griechisch: „kyriō kai theō“.

„Kýriós mou kaì theós mou“. So der Originaltext des Neuen Testaments. Auch in Griechisch, vielleicht machtkritisch gegen römische Kaiser gerichtet. „Mein Herr und mein Gott“. Johannes legt dieses Bekenntnis dem Thomas, einem der zwölf Apostel in den Mund und stellt es ganz an das Ende seines Evangeliums. Im ursprünglichen Schlusskapitel bietet er vier Ostererzählungen, drei davon dynamisch-gedrängt „am ersten Tag der Woche“, an dem sich christliche Hauskirchen versammeln.

Vier Ostererzählungen

Der Tag beginnt frühmorgens mit Maria von Magdala: eine Frau als Erstzeugin des Auferstandenen. Zwei Männer laufen dann zum Grab, nämlich Petrus und der anonyme „Lieblingsjünger“. Von ihm heißt es kurz, aber bedeutsam: „er sah und glaubte“. Der große „erste Tag der Woche“ endet mit der Erscheinung des Auferstandenen. Er zeigt den Jüngern seine „Hände und Seite“, der Evangelist Johannes betont damit, dass er tatsächlich der Gekreuzigte ist. Es folgen der Missionsauftrag des Auferstandenen und das Anhauchen der Jünger mit pneúma hágion, mit Heiligem Geist. Ostern und Pfingsten verschmelzen.

Lebenskunst
Sonntag, 11.4.2021, 7.05 Uhr, Ö1

„Mein Herr und mein Gott“. In der vierten Ostergeschichte, „acht Tage darauf“, kommt es zur Begegnung des Auferstandenen mit dem Apostel Thomas. Er wird beim Evangelisten Johannes zu einer Identifikationsfigur für Fragende und Suchende: Wie können Menschen, die Jesus von Nazaret nicht mehr persönlich erlebt haben, wie können sie zum Glauben kommen? An sie ergeht die ermutigende Antwort: „Selig sind, die nicht sehen und doch glauben“.

Immer wieder fasziniert mich, wie fein das Johannesevangelium komponiert ist: sieben „ICH BIN-Worte“ und sieben Wunder, zutreffender: sieben „Zeichen“, das letzte ist die Erweckung des Lazarus. Und – sieben Mal wird auch der Apostel Thomas genannt! Oft meditiere ich sein kurzes Credo „mein Herr und mein Gott“. Für mich ist Auferstehung kein optisches Geschehen der Vergangenheit. Auferstehung ist eine Erfahrung im Heute. Wenn mein Herz berührt wird und sich öffnet. Ostern: ein Geschenk im Jetzt.