Lebenskunst 27.6.2021, Markus Schlagnitweit

Das Leben als reines Geschenk annehmen – Bibelessay zu Markus 6,7-13

Endlich Sommer! Endlich wieder ein wenig wie vor der Pandemie! Endlich also auch wieder Reisezeit! Viele Menschen sind gerade damit beschäftigt, die Packlisten für ihre Urlaube zusammenzustellen, und ringen mit den dafür stets zu knappen Fluggepäcksobergrenzen, Autokofferräumen oder auch mit der Größe und Tragbarkeit des Rucksacks.

*Markus Schlagnitweit ist katholischer Theologe, Priester, Sozialethiker, und Direktor der Katholischen Sozialakademie Österreichs

Fast wie ein Hohn wirkt dagegen die Reiseausrüstung des Evangeliums: nicht einmal eine Tasche, kein Mundvorrat, kein Geld im Gürtel; nur die Kleider am Leib, Sandalen, ein Wanderstab – und eine vage Zielangabe. – Zugegeben, der Vergleich hinkt: Es war ja eine völlig andere Zeit, eine andere Kultur, ein anderes Klima – und: Es war ja auch nicht die Ausrüstung für eine Urlaubsreise… – Dennoch, die Provokation bleibt und hinterlässt eine bohrende Frage: Was brauche ich wirklich zum Leben?

Lebenskunst
Sonntag, 27.6.2021, 7.05 Uhr, Ö1

Diese Frage ist zweifellos wichtig und immer wieder zu stellen. Aber ich glaube nicht, dass das Evangelium primär darauf abzielt. Es geht nicht um die Propagierung eines asketischen Ideals, nicht um sauertöpfische Kritik an den Gütern des Wohlstands. Christsein zielt nicht automatisch auf eine antimaterialistische Flower-Power-Kultur ab; und es gibt überhaupt nichts auszusetzen an einer Tauchausrüstung oder einem Abendkleid im Urlaub. – Das Anliegen des Evangeliums geht tiefer.

Jesus von Nazareth sendet die 12 Apostel aus zu einer „Missionsreise“. Es geht also um nichts weniger als um die Frage, wie das Evangelium vom Gottesreich weiterzutragen ist. Und die spartanische Reiseausstattung spielt dafür eine wesentliche, zeichenhafte Rolle: Wer sich praktisch ohne Gepäck in die Fremde aufmacht, setzt sich selbst extremer Prekarität aus. Es gibt dann keine andere Sicherheit mehr – nicht einmal einen Not-Proviant. Es gibt nur noch das Vertrauen auf die Zuwendung und Unterstützung anderer – ohne Eigen- bzw. Vorleistung, ohne Rechtsanspruch, ohne Rückholversicherung. – Das aber heißt letztlich Glauben im biblischen Sinn.

Biblisch glauben bedeutet weder das Fürwahrhalten bestimmter Dogmen noch die penible Beachtung moralischer Normen. Biblisch glauben bedeutet primär die Annahme des eigenen Lebens als reines Geschenk und in der Folge ein Leben in der Grundhaltung aufrichtiger, echter Dankbarkeit. – Das war und das ist immer noch die Botschaft, die weiterzutragen Jesus seine Gefährten aussandte. Ihre prekäre Reiseausstattung sollte dafür das glaubwürdige Zeichen, ja selbst direkter Ausdruck dieser Botschaft sein – ohne weitere Worte und Erklärungen.

Vielleicht würde so ein Zeichen heute nicht mehr verstanden oder überhaupt ganz anders gelesen, z.B. als Ausdruck persönlicher Verantwortungslosigkeit. Man ist in modernen Gesellschaften gehalten, für das zum Leben Nötige selbst zu sorgen, soweit man es vermag, und auch noch solidarisch für jene mitzusorgen, die dasselbe selbst nicht können.

Dennoch bedeutet biblisch glauben meiner Überzeugung nach heute immer noch dasselbe: Leben aus Vertrauen. – Und vielleicht kann die jährliche Unterbrechung des Alltags in der Urlaubszeit auch dazu dienen, diese Grundhaltung des Glaubens wieder neu zu erinnern und einzuüben: zumindest für ein paar Wochen nicht arbeiten, nichts leisten, sondern das Leben – trotz Hotel- und Restaurantrechnung – als reines Geschenk annehmen und einfach dankbar sein.