Lebenskunst 5.9.2021, Julia Schnizlein

Schlüssel für ein gelingendes Leben – Bibelessay zu 1 Thessalonicher 5, 14-24

„Wie sagt man…?“, frage ich streng. „Danke“ knurrt meine Tochter und verdreht die Augen. Wie viele andere Eltern auch versuche ich, meinen Kindern beizubringen, höflich zu sein. Und freundlich. Und dankbar.

Julia Schnizlein ist Theologin und Pfarrerin der Lutherischen Stadtkirche in Wien

Nicht unbedingt, weil es mir so wichtig ist, was andere denken. Ein bisschen vielleicht auch. Aber vor allem, weil es hier um eine Haltung geht. Freundlichkeit und Dankbarkeit sind, wie ich meine, die schönsten und wichtigsten Grundhaltungen dem Leben gegenüber.

Wer „Danke“ sagt, der ist sich dessen bewusst, dass nicht alles selbstverständlich ist. Gerade jetzt in der „Schöpfungszeit“, die in diesen Wochen von den christlichen Kirchen begangen wird, finden dankbare Menschen immer einen Grund zum Staunen. Nicht nur in der Natur. Für sie ist das Glas halbvoll – nicht halbleer.

Wer dankt, weiß auch, dass er immer wieder auf andere angewiesen ist und kann deren Bemühungen honorieren. „Dankbarkeit macht das Leben erst reich“, schrieb der evangelische Theologe Dietrich Bonhoeffer.

Ob man Dankbarkeit lernen kann? Ob es dafür sinnvoll und zielführend ist, Kinder immer wieder zum Danke-Sagen zu ermahnen, weiß ich nicht. Aber ich denke, es ist einen Versuch wert.

Vielleicht war es ein ähnlicher Versuch, als der Apostel Paulus vor knapp 2000 Jahren im ältesten Dokument des Neuen Testaments der Gemeinde in Thessaloniki schrieb, wie sie sich zu verhalten hätte. Ganze 14 Ermahnungen umfasst dieser sogenannte 1. Thessalonicher Brief aus dem Jahr 50 nach Christus.

Habt euch lieb, steht da drin. Lebt in Frieden, seid geduldig miteinander, tröstet und unterstützt die Schwachen, betet rund um die Uhr und seid immer fröhlich und dankbar…
Wenn ich diese Ermahnungen höre, die Paulus hier aneinanderreiht, dann sehe ich meine Kinder mit den Augen rollen und frage mich selbst: Wer kann so leben? Woher sollte man die Kraft dazu nehmen?
Paulus gibt darauf eine Antwort, wenn auch ein wenig versteckt: am Ende dieses Abschnittes steht nämlich: „Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch".
Paulus gibt der frisch gegründeten griechischen Gemeinde also zu verstehen: Ihr seid mit den ganzen Ermahnungen nicht allein, sondern Ihr dürft von Gott erwarten, dass er euch hilft.

Ich glaube, diese Ermahnungen sind auch keine Bedingungen, die man erfüllen muss, um in den Himmel zu kommen oder, um bei Gott eine gute Zukunft zu haben. Nein, diese Ermahnungen sind vielmehr so etwas wie Wegweiser.
Freude, Dankbarkeit, Füreinander da sein und für die Schwachen eintreten … das alles ist keine christliche Moral, die dem Menschen wie eine verschlossene Tür den Weg zum Leben schwer machen soll.
Im Gegenteil! Diese Mahnungen sind vielmehr wie ein Bund voller Schlüssel, die dem Menschen längst in die Hand gegeben sind.
Schlüssel zur Freude, Schlüssel zu anderen Menschen, Schlüssel zu gelingendem Leben der Menschen. Ich meine, es lohnt sich, jeden Tag zu versuchen, Schlüssel zum Leben zu gebrauchen!