Lebenskunst

Bibelessay zu Matthäus 14, 22-33

Von Pfarrerin Helene Lechner, seit Kurzem Rektorin des Predigerseminars und Pastoralkollegs der evangelischen Kirche A.B. in Österreich mit Sitz in Wien

Als ich nach der Matura einige Zeit in Tansania gelebt habe, war ich einmal mehrere Stunden auf einer gebirgigen Straße in einem völlig überfüllten Kleinbus unterwegs. Es war ein altes, kaputtes Gefährt; auf einer Serpentinenstraße hinunter ins Tal haben dann auf einmal die Bremsen versagt. Hektisch hat der Fahrer das Lenkrad umklammert und der zweite Mann neben ihm mit beiden Händen und mit all seiner Kraft die Handbremse gezogen – und so sind wir bergab gerast.

In meiner Angst habe ich begonnen, mir Taizé-Lieder vorzusingen; raus aus meinem Herz hinauf in den Himmel; gesungene, meditative Gebete aus dieser Klostergemeinschaft in Frankreich, die mich als Jugendliche so fasziniert hat und die ich mir im Inneren als Schatz bewahrt hatte.

Pfarrerin Helene Lechner
ist Rektorin des Predigerseminars und Pastoralkollegs der evangelischen Kirche A.B. in Österreich mit Sitz in Wien

Nach einigen Kurven und viel Adrenalin sind wir schlussendlich doch noch unversehrt im Tal angekommen.
An Lebenssituationen wie diese denke ich bei der Erzählung, über die heute in der evangelisch-lutherischen Kirche gepredigt wird.
Als der Verfasser des Matthäusevangeliums sie zwischen 80 und 90 n. Chr. zusammenstellt, hat er dabei die Herausforderungen und Nöte der von ihm adressierten christlichen Gemeinde seiner Zeit vor Augen. Mit Petrus können die Menschen sich identifizieren. Auch sie finden sich immer wieder verunsichert, ohne festen Boden unter ihren Füßen. Auch sie sehen sich auf ihrem Glaubensweg immer wieder Höhen und Tiefen ausgesetzt; auch sie geraten immer wieder in Zweifel, verlieren Vertrauen, bekommen es mit der Angst zu tun.

Wenn sie aber dabei wie Petrus ihren Blick auf den Auferstandenen richten und sich wie er in ihrer Not an Jesus, den Christus, wenden, so ist auch ihnen darin Stärke und Hilfe verheißen.
In dieser Botschaft liegt für mich die große Kraft der Erzählung bis heute.
Sie sagt mir, dass auch ich in den Stürmen meines Lebens nicht allein bin. Sie ermutigt mich, mich an mein Gottvertrauen zu klammern, gerade auch dann, wenn mir das Wasser bis zum Hals steht. Sie bestärkt mich, auf Christus zu schauen, wenn ich in Ängsten unterzugehen drohe und wenn mir der Tod näher scheint als das Leben.

Und vielleicht wird dann auch für mich das, was um mich tobt, für einen Moment still, so wie damals in Tansania im rasenden Bus – weil ich dann ausgerichtet bin auf das Leben, den Trost und die Hoffnung und ich so weiter sehen kann als das, was mir vor Augen ist.
Am Ende, erzählt Matthäus, sitzt Jesus mit denen, die sich gefürchtet haben, im selben Boot. Was die Nacht hindurch gewettert hat, hat sich jetzt beruhigt. Der neue Morgen kann kommen.