Lebenskunst 26.5.2022, Mirja Kutzer

Bibelessay zu Apostelgeschichte 1,1-11

Der Evangelist Lukas – also derjenige, dem traditionell zugeschrieben wird, sowohl das Lukasevangelium als auch die Apostelgeschichte verfasst zu haben – man hat oft vermutet, dass er irgendwie wissenschaftlich angehaucht war.

Er könnte Arzt gewesen sein – jedenfalls ist im Kolosserbrief von einem Lukas die Rede, und der war Arzt gewesen. Gemäß seinem Selbstverständnis als Autor sei er aber eher eine Art Historiker. Schließlich betont er am Eingang des Lukasevangeliums, dass er das, und wirklich nur das aufgeschrieben hat, was er selbst sorgfältig überprüft habe. Weit seltener wird Lukas als das wahrgenommen, was er in jedem Fall war – als Literat.

Mirja Kutzer
lehrt Systematische Theologie an der Universität Kassel

Fortsetzung folgt

Die Erzählungen von der Aufnahme Jesu in den Himmel sind zweifellos das: literarisch. Und damit meine ich nicht, dass es ein bisschen wie science fiction daher kommt, wenn jemand vor den Augen der anderen einfach verschwindet. Es geht mir eher um die Gesamtkomposition. Lukas erzählt die Himmelfahrt zweimal. Das erste Mal steht sie am Ende des Lukasevangeliums und schließt die Erzählung vom Leben des Jesus aus Nazareth, seinem Tod und seiner Auferstehung ab. Die Zeit, in der Jesus greifbar, spürbar, erlebbar war, ist nun vorbei. Die Apostelgeschichte berichtet von der Zeit danach. Es geht darum, wie sich die Jüngerinnen und Jünger sammeln, wie sie zusammenleben, wie die Gemeinschaft größer wird. Doch zu Beginn berichtet der Erzähler noch einmal von der Himmelfahrt und lässt die Zeit danach mit dem beginnen, was war.

Es ist ein wenig wie mit den Staffeln 1 und 2 der Serie, die ich kürzlich gestreamt habe. In Staffel 1 schleppt die Tochter einen jungen Mann in die Familie, den sie kurz zuvor auf einer Reise kennengelernt und gleich geheiratet hat. Der junge Mann ist mittellos, schräg, charismatisch und krempelt nach und nach die Familie um. Am Ende von Staffel 1 ist die Familie selbst ein wenig schräger geworden und deutlich liebenswerter. Staffel 2 ist dann schon ohne den jungen charismatischen Protagonisten, von dem noch kurz berichtet wird, dass er irgendwie verschollen ist. Und doch stehen auch die zweite und alle folgenden Staffeln immer noch unter seinen Vorzeichen. Die Familie ist schräg und liebenswert geblieben und alles, was ihr danach begegnet, macht sie immer noch ein wenig schräger und immer noch ein bisschen liebenswerter. Die Staffeln 2 bis 6 – sie wären ohne Staffel 1 nicht erzählbar.

Lebenskunst
Donnerstag, 26.5.2022, 7.05 Uhr, Ö1

Ein bisschen schräger und liebenswerter…

Und wohl deshalb wiederholt Lukas eingangs der Apostelgeschichte die Erzählung von der Himmelfahrt. Er verweist so noch einmal auf alles das, was sich ereignet hat. Dass Jesus, ein für damalige Verhältnisse durchaus schräger und fraglos charismatischer junger Mann, Menschen dazu gebracht hat, ihr Leben umzukrempeln. Und auch die Jüngerinnen und Jünger leben danach irgendwie schräg weiter – denn ganz ehrlich: Was Lukas wenig später über die junge Gemeinde berichtet: Alle waren „ein Herz und eine Seele. Keiner nannte etwas von dem, was er hatte, sein Eigentum, sondern sie hatten alles gemeinsam,“ (4,32) – das klingt doch auch für unsere Ohren einigermaßen seltsam.

Wenn es damals schon Streaming gegeben hätte – Lukas hätte vermutlich eine fesselnde Serie aus seinen Texten gemacht und wir wären nun geschätzt bei Staffel 3579 und vielleicht auch mittendrin in dem Geschehen. Wer Christinnen und Christen heute – und damit auch mir – zusieht, würde uns an Staffel 1, an der Erzählung von Jesus messen und prüfen, ob die Fortsetzung gelungen ist. Und wir müssten zeigen, dass wir wenigstens ein bisschen schräger und ein wenig liebenswerter geworden sind.