LEBENSKUNST, 31.7.2022, Wolfgang Treitler

Bibelessay zu Lukas 12, 13-21

Dieser Rhythmus von Arbeitszeit und Feierzeit zeigt an, dass alles seine Zeit hat

Kluge Lagerhaltung gehört zu den ökonomischen Standards einer Weltwirtschaft. Durch sie kann man phasenweise Engpässe ausgleichen und halbwegs sicherstellen, dass die lebensnotwendigen Güter weltweit vorhanden sind.
Was das bedeutet, erkennt man an Häfen sehr gut. Täglich werden unzählige Container durch Standkräne auf Waggons verfrachtet und von diesen weitertransportiert, entweder direkt zu Lagerhallen oder zu Frachtplätzen, auf denen die Container wieder umgeladen werden. So läuft das heute, vielleicht auch noch morgen. Doch niemand weiß, wie lange diese Form der Weltwirtschaft noch aufrechtzuerhalten ist.
Sie hat nicht nur dazu geführt, dass in vielen Bereichen der Welt der Wohlstand gehoben worden ist und wirtschaftliche Armut bekämpft werden konnte. Sie hat auch dazu geführt, dass neue Armut produziert wurde: Hunger durch Kriege und Bodenspekulationen, an denen wenige, meist unbekannt bleibende Menschen Unmengen an Geld verdienen; menschliche Verelendung in digitalen Wolken, in denen es an tragfähigen Beziehungen fehlt, weil viele abhängig werden von den künstlich erzeugten Namen sogenannter Influencerinnen und Influencer; Verlust von Zeitgefühl, weil grundsätzlich alles immer möglich und erreichbar sein soll unter dem großen Stichwort 24/7.
Die alte Weisheit, dass alles seine Zeit hat, scheint zu verblassen. Doch das Kommen und Gehen, der Aufstieg und der Niedergang, das Lernen und das Vergessen, Siege und Niederlagen, Glück und Unglück, Verzweiflung und Hoffnung, Liebe und Tod, Entdecken und Erinnern und Loslassen bauen an den Bögen des Lebens mit. Das weist auf das genaue Gegenteil dessen, was heute verlangt wird: stetes Wachstum und Fortschreiten; wer stehen bleibt, fällt angeblich zurück. Jugend als Traumbild aller Lebensalter erzeugt die Fiktion einer alterslosen Welt. In ihr soll alles ins Gigantische gesteigert werden, die Zeit, die angefüllt wird mit Tätigkeiten und Geschäften, so unnotwendig sie auch sein mögen, und der Raum, den man sich holt durch gigantische Gebilde. Wenn man vergleicht, wie vor 50 Jahren gebaut wurde oder welche Autos vor 50 Jahren unterwegs waren, erkennt man, was an Maßlosigkeit durch ständige Steigerung hervorgebracht wurde.

Wolfgang Treitler
ist katholischer Theologe und Judaist

Neben einem Kleinwagen von heute sehen die Limousinen der 1970er Jahre spartanisch, grob und zerbrechlich aus, von den eigenartigen SUVs gar nicht zu reden.
Das meiste von all dem fällt jenseits der sinnvollen Lagerhaltung an, ist Überfluss in wörtlichem Sinn, nicht selten sinnlos und so gesehen Darstellung der Leere, die solche gigantischen Anhäufungen erzeugen und hinterlassen.
Dagegen spricht das Gleichnis, das Lukas überliefert, von einer Unterbrechung dieses Rausches. Diese Unterbrechung bringt nicht erst der Tod. Jedes Aufhören unterbricht, was läuft. Am schönsten geschieht Unterbrechung durch Feiertage. Sie setzen eine Zäsur zwischen der Werkzeit und den Stunden, in denen ein Mensch aufatmen kann und das, was in seinen Lagern liegt, nicht weiter vermehrt, sondern genießt und im Genuss auch loslässt.

Lebenskunst
am Sonntagmorgen, 31.7.2022, 7.05 Uhr, Ö1

Denn jeder Genuss bringt das Genossene zum Verschwinden.
Dieser Rhythmus von Arbeitszeit und Feierzeit zeigt an, dass alles seine Zeit hat. Und er macht den Menschen zum Menschen, der zur rechten Zeit zu arbeiten und zu feiern versteht. Wenn er das vergisst oder unterdrückt, gleicht er, wie der Psalm 49 es kündet, „dem Vieh, das verstummt.“
Lagerhaltung ist und bleibt wichtig. Ihren Zweck findet sie, wenn sie Basis für die Unterbrechung wird, die jede Feier, jeder Feiertag gewährt, auch der heutige Sonntag.