Lebenskunst 6.11.2022, Thomas Hennefeld

Das Reich ist mitten unter euch – Lukas 17,20-21

Ein Gedicht zum Bibeltext – Es wächst etwas und wir mit ihm

Thomas Hennefeld
ist evangelischer Theologe und Landessuperintendentet der evangelisch-reformierten Kirche in Österreich

Als er von den Pharisäern gefragt wurde, wann das Reich Gottes komme, antwortete er ihnen: Das Reich Gottes kommt nicht so, dass man es beobachten könnte. Man wird auch nicht sagen können: Hier ist es! oder: Dort ist es! Denn seht, das Reich Gottes ist mitten unter euch.

Mit brennender Liebe,
nichts fordernd, bereit, alles zu geben,
so baut der Menschensohn an Gottes Reich
mit unseren zerbrechlichen Händen und Herzen.

Es herrscht Gottesfinsternis
an zahllosen Ecken und Enden der Erde
und gleichzeitig Sehnsucht im Dunkel.
Und leise drängen Fragen an die Oberfläche,
wie eine Quelle, die wir zu verstopfen suchen
und die sich doch den Weg ins Freie bahnt:
Wann bricht der Frühling an?
Wann dürfen wir Ausschau halten
nach der Taube mit dem Ölzweig im Schnabel?

Lebenskunst
Sonntag, 6.11.2022, 7.05 Uhr, Ö1

Gott wandert mit uns,
wie ER mit seinem Volk
durch die Wüste gewandert ist.
Wenn wir hier bleiben,
entfernen wir uns von IHM,
verlieren IHN aus den Augen.
Reich Gottes ist auch Reich des Menschen,
ist unser Fest mit IHM.
Wenn wir hier bleiben,
haben wir nur unsere Phrasen
und die billige Gnade,
mit der wir uns gerne begnügen.
Wenn wir verharren, so balsamieren wir IHN ein.
Uns bleibt dann nur ein Reliquienschrein,
unheimlich kostbar, aber ohne Substanz.

Uns werden die Worte nicht ausgehen,
ein ganzes Leben lässt sich davon zehren,
von der Klugheit, die Paulus zur Torheit erklärt hat.
ER ist schon fort.
Und wir haben nicht einmal
den Augenblick der Erscheinung erlebt
wie die Jünger in Emmaus.
Wir warten mit fixen Ideen und Bildern,
und merken nicht: ER ist schon unter uns.
ER baut schon an seinem Reich, an unserem Reich.

Mit den anderen aufbrechen,
unnötigen Ballast abwerfen,
um dem Reich zum Durchbruch zu verhelfen,
um der Finsternis ein Ende zu bereiten.
Das geht nie mit Gewalt.

Gottesfinsternis – und DEIN Reich ist längst hier.
Beharrlich und beständig gehen wir den Weg,
und Gott geht mit uns.
ER geht voran und wir werden es sehen,
wenn wir die Gefangenen befreien
und ein Jubeljahr ausrufen.

Wir können sehen, wie es wächst,
wie die Saat, wie das Senfkorn,
wenn wir die Pflastersteine heben.
Keine Sissiphosarbeit, keine vergebliche Liebesmüh.
Es wächst etwas und wir mit ihm.

Das Reich ist mitten unter euch.
ER ist gekommen,
Einfachheit zu lehren und Steine zu heben,
von den geplagten Seelen
in Mühsal und doch strahlend vor Glück.

ER hat keinen Mittelweg uns gewiesen.
Sei kalt oder heiß, die Lauheit hasst der HERR.
Es gibt nur faule Kompromisse
oder Gemeinschaft auf dem Weg.
Es war alles nur eine Fatamorgana
in steiniger Wüste ohne Gott
oder: Das Reich ist mitten unter euch!