Lebenskunst 18.12.2022, Elisabeth Birnbaum

Bibelessay zu Jesaja 7,10-14

Wenn ich als Bibelwissenschaftlerin auf diesen Text angesprochen werde, dann meistens im Zusammenhang mit der Jungfräulichkeit von Maria, der Mutter von Jesus von Nazaret. Warum?

Weil das Matthäusevangelium diese Verheißung des Immanuel auf die Geburt Jesu deutet. Dort erscheint dem Verlobten der schwangeren Maria, Josef, ein Engel, im Traum und ermutigt ihn mit diesen Worten, trotzdem bei ihr zu bleiben. Beide Texte, Jesaja und Matthäus, werden heute in katholischen Gottesdiensten gelesen.

Elisabeth Birnbaum
ist Leiterin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks

Ein Gott unter den Menschen

Natürlich verstehe ich, dass die Frage, ob Maria trotz ihrer Schwangerschaft Jungfrau geblieben ist, für gläubige Menschen wichtig ist. Aber Jesaja 7 selbst hat eigentlich eine andere Botschaft, die es mindestens ebenso wert wäre, bedacht zu werden. Denn bei Jesaja in Kapitel 7 geht es nicht um die Frau, sondern um den Sohn. Und auch nicht um ihn als Person, sondern um das, worauf er verweist. Und laut der Erzählung ist er ein Zeichen dafür, dass Gott – hebräisch el – mit uns – hebräisch im anu – ist.

Aber was heißt das konkret? Ich habe einmal „Gott mit uns“ gegoogelt, weil ich ein Bild zu einem Kommentar zu Jesaja, Kapitel 7 gesucht habe. Zu meinem Entsetzen kamen keine Bilder eines nahen, die Menschen begleitenden Gottes als Ergebnis, sondern Bilder von Münzen und Gürtelschnallen aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Als ich weiter recherchierte, lernte ich, dass „Gott mit uns“ seit 1701 der Wahlspruch der preußischen Könige, später der deutschen Kaiser war und bis 1962 das Motto der deutschen Bundeswehr. Und so war es auch das Motto von Soldaten in Kriegen und Weltkriegen.

Lebenskunst
Sonntag, 18.12.2022, 7.05 Uhr, Ö1

Immanuel – Gott mit uns

Ist also „Gott mit uns“ gleichbedeutend mit: „Gott hilft uns, die Gegner zu vernichten“? Im Jesajabuch nicht. Dort steht die angekündigte Geburt eines Gott-mit-uns zwar ebenfalls im Kontext eines Krieges, dem syro-ephraimitischen Krieg, in dem das kleine Juda von Syrien und Israel angegriffen wird. Aber „Gott mit uns“ ist hier kein Motto von kriegsführenden Soldaten, sondern der Zuspruch an Juda, und damit an jene, die von einem Krieg betroffen sind und nur noch auf Gott vertrauen können, um überleben zu können. Denn wenn man nur zwei Verse weiterliest, erfährt man, dass der angekündigte Immanuel nicht sehr alt sein wird, bevor die beiden feindlichen Reiche, die das Land bedrohen, untergegangen sein werden. Das ist die eigentliche Sinnspitze. Der Text zielt auf eine Frau, die ein Kind gebiert, das auf Gott verweist, der die Not des Volkes beendet.

Jesaja 7 erzählt also nicht von der Jungfrau Maria, sondern davon, dass Gott seinem Volk mit einem Zeichen seinen Beistand zusichern will. Dass er sich als ein Gott-mit-uns erweist und die Bedrohten und Unterdrückten rettet. Und wenn das Matthäusevangelium diesen Vers zitiert, scheint es ihm auch vor allem darum zu gehen. Denn Jesus von Nazaret wird sich im Matthäusevangelium nicht nur nach seiner Auferstehung von den Toten als dieser Gott-mit-uns erweisen. Er wird auch in seiner Bergpredigt dazu aufrufen, die Spirale der Gewalt zu durchbrechen und Frieden zu stiften. Immanuel – Gott mit uns: als Zeichen von Gottes Nähe und als Absage an Kriegstreiber. Ich finde, diese Botschaft von Jesaja 7 wäre es wert, öfter gehört zu werden.