Lebenskunst 6.1.2023, Christine Rod

Bibelessay zu Jesaja 60,1-6

Die Grundmelodie dieses Tages ist die Geschichte von den drei Königen, die sich von weither auf die Reise gemacht haben, um das neugeborene Gotteskind in Betlehem zu begrüßen.

Der Hintergrund ist eine raue Zeit, mit römischer Besatzung und mit dem machtgierigen König Herodes. In der Kunst wurde diese Geschichte gerne mit allem Reichtum und aller Schönheit dargestellt.

Wider die Dunkelheiten

Ich möchte das keineswegs schönreden, aber vielleicht ist es tatsächlich so, dass wir in schwierigen Zeiten den Reichtum und die Schönheit des Lebens noch deutlicher wahrnehmen.

Dieser Text aus dem so genannten Alten Testament hat seine Entsprechung zu dieser Geschichte, die ein bisschen sagenhaft anmutet. Der Text aus dem Buch Jesaja ist zwar 600 Jahre älter, aber da gibt es so manche Anklänge, und das ist natürlich nicht zufällig.

Sr. Christine Rod
ist Generalsekretärin der Österreichischen Ordenskonferenz

Steh auf, werde licht!

Das Buch Jesaja ist eine Sammlung von Prophetentexten. Ein Prophet ist kein Wahrsager und kein Hellseher, sondern – ganz wörtlich – einer, der sieht. Einer, der Entwicklungen wahrnimmt und einer, der Zusammenhänge herstellen kann. Meistens ist ein Prophet auch einer, der das, was erkannt, ins Wort bringen kann. Das Buch Jesaja ist voll von Geschichten und Bildern, die manchmal fantastisch anmuten. Sie wollen auch keine faktische Darstellung der Wirklichkeit sein, sondern sie erzählen in leuchtenden Bildern davon, wie die Wirklichkeit einmal sein könnte. Propheten wollen inspirieren, anstiften, neu und größer und ganz anders zu denken. Lassen wir uns heute mitnehmen!

Auch die Zeit um 600 vor Christi Geburt war eine raue Zeit. Der Tempel in Jerusalem, der Ort, an dem Gott der Tradition nach wohnte, war zerstört. Jerusalem war uninteressant geworden, und das Volk Gottes war zerstreut und orientierungslos. Das Lebensgefühl war geprägt von Dunkelheit und Irritation.

Genau in diese Situation hinein heißt es: „Steh auf, werde licht.“ Martin Luther übersetzt diese Worte mit „Mach dich auf.“ Später heißt es dann: „Erhebe deine Augen und schau.“ Also: Auch wenn das Leben schwierig und trocken ist und auch wenn das Neue noch nicht klar erkennbar ist – steh auf, öffne dich, schau über deine eigenen kleinen Kreise hinaus, entdecke, was es sonst noch gibt und setz dich in Bewegung!

Lebenskunst
Freitag, 6.1.2023, 7.05 Uhr, Ö1

Wenn sich das Herz vor Freude weitet

Und Bewegung gibt es in dieser Geschichte wahrlich genug: Das Licht Gottes – die Herrlichkeit Gottes, also Gottes Gegenwart – kommt wieder; die Söhne und an ihrer Seite die Töchter kommen aus der Fremde wieder zurück nach Jerusalem; die anderen Könige und Nationen versammeln sich und kommen mit ihrem Reichtum; und sogar aus den orientalischen Nachbarländern kommt man mit ganzen Kamelherden, mit Gold und Weihrauch. Es ist wieder eine fantastische, sagenhaft anmutende Geschichte. Es ist, als ob sich in dieser ganzen erstarrten Situation etwas löst und als ob neue Lebendigkeit spürbar wird.

Auch unsere Zeit heute erlebe ich in mancher Hinsicht als ziemlich rau und krisenhaft. Da gibt es neben viel Gelingendem doch einiges an Herausforderungen, an Krisen, an Irritationen. In biblischer Sprache könnte man sagen: „an Dunkelheiten“. Da tun mir Propheten und Prophetinnen gut. Menschen, die größer und weiter sehen und die auch mir helfen, zu verstehen und Richtung zu finden. Menschen, die ins Wort bringen, was – in Gottes Namen – in Bewegung kommen und sein könnte.

Und es gibt sie wirklich, diese Menschen, auch in unseren Tagen, immer noch und immer wieder. Und manchmal, wenn ich durch sie etwas von der Gegenwart Gottes und von der größeren Wirklichkeit begriffen habe, dann erlebe ich tatsächlich, dass „das Herz beben und sich vor Freude weiten“ kann.