Lebenskunst 22.1.2023, Elisabeth Birnbaum

Bibelessay zu Matthäus 4,12-23

Kennen Sie das auch? Manche Menschen sprechen gerne in Zitaten und Anspielungen.

In Schauspielerkreisen ist das besonders beliebt, aber auch im Freundeskreis oder unter Verwandten – kurze Anspielungen werden gemacht, die Insider wissen sofort, was gemeint ist und lächeln einander vielsagend an, alle anderen bleiben ratlos. Insider haben also entschieden Vorteile: Sie verstehen, wovon gesprochen wird. Und sie vertiefen damit auch die Nähe und Gemeinschaft zueinander. Wenn auch manchmal auf Kosten der Außenstehenden.

Elisabeth Birnbaum
ist Direktorin des Österreichischen Katholischen Bibelwerks

Von Menschenwort und Gotteswort

Der Verfasser des Matthäusevangliums spricht sehr häufig in Zitaten und Anspielungen – auf seine Heilige Schrift. Und die ist selbstverständlich das sogenannte Alte Testament – das Neue Testament entsteht ja gerade erst. Besonders oft zitiert er das alttestamentliche Buch Jesaja. Auch er ermöglicht dadurch eine Verständigung der „Wissenden“. Auch er vertieft damit die Nähe und die Gemeinschaft unter denen, die diese Schrift kennen.

Aber dabei bleibt es nicht. Das Zitieren dient nicht zur Ausbildung eines Insiderkreises und schon gar nicht benützt er die Zitate dazu, um jemanden auszugrenzen. Im Gegenteil: Matthäus zitiert nicht nur die Texte, die seiner Zuhörerschaft lieb und teuer sind, sondern übersetzt sie in seine Gegenwart, Jahrhunderte nach Jesaja. Diese Gegenwart ist geprägt von einer Erfahrung, die alle gewohnten Begriffe sprengt: von der Erfahrung des Messias, der für viele Menschen in Gestalt des Jesus von Nazaret erschienen ist. Und das will Matthäus mithilfe des Jesajabuches beschreiben. Wer dieser Jesus ist und was es bedeutet, dass er zu Beginn seines Wirkens ausgerechnet durch Galiläa gezogen ist, einer Gegend, die ein wenig verrufen ist, als Land der Heiden, als Land der Andersgläubigen.

Lebenskunst
Sonntag, 22.1.2023, 7.05 Uhr, Ö1

Wenn die Bibel vom Licht spricht

So zitiert Matthäus das Jesajabuch, in dem zwei Gegenden genannt werden, denen nach langer Finsternis Licht zuteilgeworden ist: Naftali und Sebulon. Matthäus fügt für sein Publikum nun noch Galiläa dazu. Diesem Galiläa soll wie Naftali und Sebulon ein Licht aufgegangen sein. Und dieses Licht, sagt Matthäus, war Jesus, der Messias, übersetzt: Christus selbst. So wird durch das Zitat Jesus von Nazaret, der durch Galiläa zieht, als Licht für Andersgläubige vorgestellt. Als ein Licht, das so strahlend ist, dass auf sein Wort hin Menschen ihren Beruf und ihre Familie zurücklassen und ihm folgen.

Am 22. Jänner 2023 feiert die katholische Kirche den Sonntag des Wortes Gottes und damit den sogenannten Bibelsonntag. Und wie Matthäus es vormacht, muss auch die Bibel einerseits immer wieder im Original zitiert werden, um die Gemeinschaft der Bibelinteressierten zu vertiefen. Und anderseits muss sie immer wieder in die heutige Zeit hin übersetzt werden, damit sie niemanden ausgrenzt und von allen verstanden werden kann. Vor allem dann, wenn sie vom Licht spricht, das in der Finsternis aufstrahlt.