Lebenskunst 5.3.2023, Susanne Heine

Bibelessay zu Markus 12,1-3.5-9

Jesus begann in Gleichnissen zu reden: Es pflanzte einer einen Weinberg. Dann verpachtete er ihn an Weinbauern und ging außer Landes. Zu gegebener Zeit schickte er einen Knecht als Boten, um seinen Anteil am Ertrag einzuholen. Sie aber packten ihn und schlugen ihn und schickten ihn mit leeren Händen fort.

Und er schickte viele andere, die einen schlugen sie, die anderen töteten sie. Einen hatte er noch: den geliebten Sohn. Den schickte er zuletzt, denn er sagte sich: Vor meinem Sohn werden sie Respekt haben. Jene Weinbauern aber sagten zueinander: Das ist der Erbe. Kommt, wir wollen ihn töten, dann wird das Erbe uns gehören. Und sie töteten ihn und warfen ihn aus dem Weinberg. Was wird nun der Herr des Weinbergs tun? Er wird kommen und die Weinbauern umbringen und den Weinberg anderen geben.

Susanne Heine
ist Theologin und Religionspsychologin

Ein Gleichnis für Gott?

Zuerst bin ich über diese brutale Geschichte erschrocken. Aber hätte ich damals gelebt, wäre ich im Bilde gewesen: Oft blutig niedergeschlagene Aufstände gegen die römischen Besatzer beuteln das Land westlich des Jordan. Reiche Gutsherren meiden das Land und verpachten ihren Besitz an dort ansässige Weinbauern. Dann schicken sie Boten, um den Pachtzins abzuholen, vermutlich Wein in Schläuchen. Dass manche Pächter die Abgaben nicht leisten können oder wollen oder versuchen, sich den Besitz unter den Nagel zu reißen, soll in diesen wirren und bedrohlichen Zeiten auch vorgekommen sein.

Eine Stelle fällt jedoch aus dem Rahmen dieser damals vertrauten Szene: Indem der Evangelist Markus den zuletzt geschickten Sohn den „geliebten“ nennt, verweist er auf Jesus von Nazareth, den Christus. So wird die Geschichte zum Gleichnis: Hinter dem Herrn des Weinbergs erscheint Gott, der Herr, der etwas fordert, nicht Wein, aber Recht und Gerechtigkeit durch seine Boten, die Propheten, deren Kritik am Establishment ungehört verhallt.

Lebenskunst
Sonntag, 5.3.2023, 7.05 Uhr, Ö1

Aber wem erzählt Jesus das Gleichnis?

Die Abschnitte davor und danach geben Auskunft. Das Ziel der Kritik sind die Weinbauern, die sich wie allgewaltige Eigentümer aufführen, aber sie haben ihre Macht nur gepachtet. Sie stehen für die damals herrschenden Eliten, denen Land und Volk anvertraut sind, die aber nur ihre eigenen Interessen verfolgen. Mit ihnen hat sich Jesus auseinandergesetzt, mit den Herrschern aus der Familie des Herodes oder der aristokratischen Partei der Sadduzäer, den Hütern des Tempelschatzes.

Beide haben mit der römischen Besatzungsmacht unter einer Decke gesteckt, um selbst an der Macht zu bleiben. Manchmal bin ich fassungslos, dass sich der Kampf um die Macht permanent wiederholt: andere Länder besetzen, korrupte Allianzen, Regimekritiker mundtot machen oder gar umbringen. Ich sehe auch christliche religiöse Autoritäten, die so etwas unterstützen, sei es in Russland, Äthiopien, Brasilien oder anderswo.

„Reminiszere“

Jahrhundertelang ist das Gleichnis dazu benützt worden, den Tod Jesu den Juden in die Schuhe zu schieben. Im Anschluss an das Gleichnis steht jedoch geschrieben: Die Machthaber haben schon kapiert, dass Jesus sie kritisiert und würden ihn gerne loswerden. Sie halten sich aber zurück, denn sie fürchten das Volk, auch alles Juden und Jüdinnen, die dem Juden Jesus nichts antun wollen. Ich kann nicht begreifen, warum solche innerjüdischen Kontroversen später pauschal zu Lasten der Juden ausgelegt worden sind. Das hat eine Judenfeindschaft begründet mit bedrohlichen politischen Folgen – teils bis heute.

Zum Schluss wieder ein Schock: Der Weinbergherr tötet die Pächter, grausam, aber für Markus eine Anspielung auf das letzte Gericht, das die Gerechtigkeit wiederherstellt. Bis dahin gehen die Machtkämpfe weiter: Im Jahr 66 beginnt der Krieg: Römische Truppen marschieren ein, zerstören Jerusalem, plündern den Tempel, die Menschen flüchten. Der Triumphbogen des Feldherrn Titus in Rom bezeugt die Katastrophe des Jahres 70. Nicht Gott handelt grausam, das tun die Machthaber und Agitatoren im je eigenen Land, die Menschen und Rechte missachten. „Reminiszere“ heißt der heutige Sonntag, ein Wort aus Psalm 25 in der lateinischen Fassung: Erinnere dich, Gott, an deine Barmherzigkeit. Gott sei uns gnädig in diesen Zeiten.