Lebenskunst 26.3.2023, Regina Polak

Bibelessay zu Ezechiel 37,12b-14

Welch wuchtige Worte und was für ein Bild: Gott öffnet die Gräber der Toten des Volkes Israel, haucht seinen Geist in sie, sie werden lebendig und können wieder in ihre Heimat Israel zurückkehren. Wenn ich mir das in meiner Fantasie vorstelle, läuft mir die Gänsehaut über den Rücken.

Der Prophet, der im Namen Gottes so zum Volk Israel spricht, heißt Ezechiel und zählt zu den großen Propheten im Judentum und im Christentum. Das gleichnamige Buch, das sich im Tanach, der Hebräischen Bibel bzw. im Alten Testament findet und ihm zugeschrieben wird, wurde im 6. Jahrhundert vor Christus verfasst, als das Volk Israel in der Verbannung im babylonischen Exil lebte. Die Worte der Schriftlesung, die an diesem Sonntag in katholischen Gottesdiensten zu hören sind, sind Teil einer Vision, die der Prophet Ezechiel hat.

Regina Polak
ist Theologin und Religionssoziologin

Ich öffne eure Gräber und hole euch herauf

Sie eröffnet sich ihm in einer Situation erdrückender Hoffnungslosigkeit: Das Volk Israel muss miterleben, wie Jerusalem von den Feinden völlig zerstört wird. Damit erstirbt jegliche Hoffnung auf Rückkehr in die Heimat. Die Menschen fühlen sich wie tot. In dieser Situation führt Gott seinen Propheten in einer Vision in eine Ebene, fast schon eine Art Schlachtfeld voller ausgetrockneter Gebeine. Über diese Gebeine hinweg lässt Gott nun seine Stimme erschallen und verheißt die Auferstehung der Toten. Und den Gebeinen wird Gottes Geist eingehaucht, die Knochen bekommen wieder Fleisch, Sehnen und Haut. Sie werden wieder lebendig.

Der christliche Glaube an die Auferstehung der Toten hat also tiefe Wurzeln im Glauben des Volkes Israel, im jüdischen Glauben. Dieser Glaube ist, wie es das Buch Ezechiel deutlich macht, zunächst keine Antwort auf das Problem des individuellen, natürlichen Todes, sondern auf die erschütternde Erfahrung von Vertreibung, Unterdrückung, Gewalt, und Krieg. Die damit verbundene Vision ist deshalb Ausdruck der Hoffnung, dass am Ende mit Gottes Hilfe nicht das Unrecht, sondern die Gerechtigkeit siegen wird; dass die Täter nicht über die Opfer triumphieren werden.

Widerstand gegen Unrecht

Diese Hoffnung hat ihren Ursprung im tiefen Glauben an einen Gott, der dem Elend der Menschen nicht tatenlos zusieht, selbst wenn dies angesichts des Leides in der Welt oft so erscheint. Denn laut dem Zeugnis der biblischen Verfasser ist dieser Gott ein Gott des Lebens und nicht des Todes. Er kann daher auch Tote lebendig machen, Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung beenden und neues Leben schaffen. Für Christ:innen ist diese Hoffnung in der Auferweckung des Jesus von Nazareth Wirklichkeit geworden. Der Tod ist besiegt, die Angst vor ihm muss nicht mehr über die Menschen herrschen. Gerechtigkeit wird am Ende der Zeiten wieder hergestellt werden.

Der Glaube an die Auferstehung ist daher nicht nur ein Glaube an das persönliche Weiterleben nach dem Tod, sondern birgt für viele eine große und befreiende Kraft bereits für das Leben hier und heute. Wie die Vision des Ezechiel kann die Hoffnung auf Auferstehung auch bereits jetzt das Leben verändern. Denn sie ermutigt zum Widerstand gegen alles Unrecht, gegen Gewalt und Unterdrückung und gegen alles, was das Leben von Menschen beschädigt – auch und gerade in Situationen der Hoffnungslosigkeit.

Lebenskunst
Sonntag, 26.3.2023, 7.05 Uhr, Ö1

Quelle der Ermutigung

Für mich ist die Hoffnung auf Auferstehung daher eine Lebensform. Wie die Vision des Ezechiel dem Volk Israel Hoffnung auf den Beistand Gottes und die Rückkehr in die Heimat gegeben hat, gibt mir dieser Glaube die Kraft, auch in schwierigsten Situationen Bilder einer guten Zukunft zu entwickeln. Dieser Glaube schützt mich außerdem vor Bequemlichkeit, Schicksalsergebenheit, Resignation und Apathie. Er ermutigt mich dazu, den vielen kleinen Toden, von denen das Leben im Alltag geprägt ist, Widerstand zu leisten und gegen Unrecht und Ungerechtigkeit aufzustehen.

Und weil es Gottes Geist ist, der diese Kraft schenkt, kann ich in diesem Kampf gegen Angst und Hoffnungslosigkeit und für eine gerechtere Welt darauf verzichten, Gewalt anzuwenden. Denn die Vision des Ezechiel und die Bilder des auferstandenen Christus schenken mir auch Geduld und einen langen Atem. Angesichts der unzähligen Krisen in der Kirche, in der Gesellschaft, in der Politik ist dieser Geist der Auferstehung für mich eine zentrale Quelle, mich den Herausforderungen der Gegenwart mutig und hoffnungsvoll zu stellen.