Lebenskunst 14.5.2023, Mirja Kutzer

Bibelessay zu Johannes 14,15–21

Ich nehme heute einen Umweg zum Bibeltext, der doch – so viel sei vorweggeschickt – schon eine Auslegung des Textes sein will. Der Weg ist also gewissermaßen das Ziel auf der Suche danach, was es denn mit dem „Geist“ auf sich hat, den Jesus im Text zu senden verspricht und der uns nicht als „Waisen“ zurücklassen wird.

Mein Umweg sei verziehen: Für mich ist heute ein sehr besonderer Tag. Meine jüngere Tochter kommt zur Erstkommunion – sie darf also heute zum ersten Mal in der Kirche das heilige Brot essen, in dem für Christinnen und Christen Jesus Christus in besonderer Weise anwesend ist. Ein aufregendes Fest, zweifelsohne, Familie und Freunde sind da. Die Kleidung ist besonders, der Gottesdienst wird festlich, und danach gibt es gutes Essen und sicher auch Geschenke.

Mirja Kutzer
ist katholische Theologin an der Universität Kassel

Nicht vereinzelt in dieser Welt

Besonders und intensiv war aber vor allem die Zeit davor. Seit September haben sich die Kinder auf dieses Fest vorbereitet. Auch für mich war die Zeit intensiv, weil ich als eine von vier Katechetinnen die 9-, 10- und 11-jährigen Kinder begleitet habe. Gemeinsam waren wir auf einer Suche. Denn Kirche ist ja längst nicht mehr ein Fundus an Antworten, die man am besten auswendig lernt. Im Idealfall bietet sie Räume, in denen gesucht werden kann und darf. Nach sich selbst, nach Sinn, nach Gott – oder einfach nur nach einem Ort, wo man sein kann.

Sie bringen eine ganze Menge mit, diese Kinder – an Erfahrungen, Wissen, Persönlichkeit. Es ist keineswegs immer nur pralles Kinderlachen oder, so hat es Erich Kästner einmal ausgedrückt, so ein Kinderleben besteht ja nicht nur aus prima Kuchenteig. Ihre Namen habe ich hier verändert, aber wenigstens kurz möchte ich erzählen, wer da so alles dabei ist: Da ist der kleine Paul, der auch dann noch vor klugen Ideen sprüht, wenn er schon längst nicht mehr stillsitzen kann. Da ist Elias, das Pflegekind, an dem wir immer wieder lernen, dass Identität kein Selbstläufer ist.

Da ist Anna, die größte und älteste, die die kognitiven Fähigkeiten einer 3-Jährigen mitbringt und die uns mit ihrer überfließenden Herzlichkeit und ihrem Eigenwillen ebenso in Atem hält, wie bereichert. Und da ist ihre jüngere Schwester Hannah, die die Bedürfnisse ihrer Schwester immer mit im Blick hat und da so Großes leistet. Und die bei uns gleichzeitig einen Raum für sich selbst haben soll. Und da ist auch Leon, der immer wieder mal provokativ erklärt, dass er nicht an Gott glaubt. Heute, so hat er sich entschlossen, wird er dann doch dabei sein, und wir werden sehen, wohin sein Weg ihn führt. Schließlich ist da meine Tochter, die ich in einer anderen Rolle und in einem anderen Umfeld erleben durfte, und ich bin froh, dass das uns beiden gefallen hat.

Lebenskunst
Sonntag, 14.5.2023, 7.05 Uhr, Ö1

Besonderer Geist

Es ist ein besonderer Geist in diesen Treffen. Es geht nicht um Leistung. Nicht darum, was einer weiß oder kann oder hat. Begleitet von Geschichten aus der Bibel haben wir darüber nachgedacht, was Menschen zum Leben brauchen, was wichtig ist und was weniger. Was Freude bereitet oder verletzt oder traurig macht. Und was fröhlich und zufrieden. Die Kinder haben ein sehr feines Gespür dafür, was schieflaufen kann in zwischenmenschlichen Beziehungen, wie Brüche entstehen, wie unwohl man sich fühlt, wenn man etwas verbockt hat. Und sie haben Ideen, wie die Dinge wieder ins Lot kommen, wie Vergebung geschieht. Es geht um Themen, die unser Leben begleiten. Und doch werden die Räume weniger, in denen sie auch wirklich Thema sein können. Vielleicht idealisiere ich ein bisschen, aber in dem besonderen Geist dieser Treffen entsteht eine Atmosphäre, in der die Kinder sehr achtsam und auch herzlich miteinander umgehen.

Wird so der „Geist“ spürbar, von dem der Bibeltext spricht? Für mich ist das so. Es ist ein Geist, in dem die Kinder, in dem Menschen nicht allein bleiben mit ihren Freuden und Hoffnungen, mit ihrer Trauer und ihren Ängsten. Sie bleiben keine „Waisen“ – so nennt es der Text, nicht vereinzelt in dieser Welt, sondern teilen ein verletzliches, fragiles Leben miteinander. Und sie teilen, unausgesprochen, die Hoffnung, dass die Zukunft gut, dass ihr Leben gelingen möge – in welcher Weise auch immer. Ich wünsche mir für „meine“ Kommunionkinder, dass von dieser Gemeinschaft etwas bleibt über den heutigen Tag hinaus. Dass sie sich vielleicht auch nur an den Geist erinnern, den sie dort gespürt haben. Und dass sie so eine gute Portion Vertrauen, womöglich Gottvertrauen, ins Leben mitnehmen.