Lebenskunst 28.5.2023, Mirja Kutzer

Bibelessay zu 1 Korinther 12,3b-7.12-13

Eigentlich ist es ein großartiges Bild, das der Apostel Paulus hier im Korintherbrief anbietet. Diejenigen, die sich von Jesus Christus zu einem neuen Leben gerufen fühlen, sind „ein einziger Leib“, so heißt es im Text. Sie stehen in Verbindung zueinander, wie die Gliedmaßen eines Menschen.

Die eine Hand weiß, was der andere Fuß tut, und wie wir als Menschen gerade den Körperteilen Beachtung schenken, die schmerzen oder gerade nicht so wollen, kümmert man sich auch in dieser Gemeinschaft gerade um die schwachen Glieder. Es herrscht ein besonderer Geist in dieser Gemeinschaft. Vieles ist anders, als die Menschen es sonst in ihrem Leben kennen. Es ist unwichtig, ob sie Sklaven sind oder Freie. Ebenso ist nicht entscheidend, ob sie die jüdischen Riten befolgen oder, ob sie mit diesen nichts anfangen können. Soziale wie religiöse Hierarchien – hier gelten sie nicht.

Vom Geist der Verantwortung und der wechselseitigen Bereicherung

Nach Paulus‘ Überzeugung ist es der Geist Gottes, der diesen besonderen „spirit“ bewirkt. Er „durchtränkt“ die Einzelnen, so heißt es im Text, und führt sie zu diesem Leib zusammen, den Paulus den „Leib Christi“ nennt. In der Geschichte des Christentums ist „Leib Christi“ zu einem der wirkmächtigsten Bilder für die Kirche geworden, jedenfalls für die katholische Kirche. Freilich – diese „Leib Christi“ -Metapher ist auch nicht unproblematisch.

Mirja Kutzer
ist katholische Theologin an der Universität Kassel

Mit meinen Studierenden mache ich manchmal ein Spiel. Ich lege ihnen als schematische Zeichnungen die bekanntesten Kirchenbilder vor und lasse sie – aus dem Bauch heraus – eintragen, wo sie den Papst einzeichnen würden. Beim „Leib Christi“-Bild landet der Papst zuverlässig im Kopf. Und da zeigt sich deutlich die Ambivalenz: Der „Leib Christi“ erscheint auf einmal sehr hierarchisch. Der Papst wird zu einer Art Master Mind, der den Körper steuert bis in die letzte kleine Fingerkuppe.

Zudem ist nun genau definiert, wer zum „Leib Christi“ gehört. Nämlich nur diejenigen, die in Gemeinschaft mit dem Papst leben, also Mitglieder der Institution Katholische Kirche sind. So ist das Bild in der Kirchengeschichte denn auch gedeutet worden: Kirche ist hierarchischer „Leib Christi“ – und entsprechend hierarchisch, zentralistisch, autoritär und exklusiv. Vom geistdurchtränkten Zusammenspiel der Glieder jenseits der bestehenden Hierarchien des Paulus bleibt hier wenig übrig.

Lebenskunst
Sonntag, 28.5.2023, 7.05 Uhr, Ö1

„Leib Christi“-Metapher

Ist die „Leib Christi“-Metapher noch zu retten? Diese Frage stellt die Tübinger Theologin Saskia Wendel in ihrem eben erschienenen Buch. Ihr Vorschlag führt an die Ursprünge zurück – wiederum zu einem Leib: zum konkreten, körperlichen Auftreten Jesu vor ca. 2000 Jahren. Jesus von Nazareth hatte seine Jüngerinnen und Jünger dazu aufgefordert, ihm nachzufolgen. Was in der körperlichen Nähe Jesu erfahrbar war, soll sich immer neu in der Welt realisieren, quasi immer wieder einen „Körper“ bekommen und leibhaftig spürbar werden.

„Leib Christi“ zu sein rückt so in eine ethische Dimension. Es verwirklicht sich dort, wo Menschen in ähnlicher Weise handeln wie Jesus es gezeigt und vorgelebt hat: Wo sie für andere da sind, wo sie sich für Gerechtigkeit einsetzen und so spürbar wird, was die Bibel „Leben in Fülle“ nennt. Daraus können dann auch Gemeinschaften entstehen, die begeistert sind und begeistern – oder, wie Saskia Wendel wissenschaftlicher ausdrückt: Die performativ wirksam werden und auch gesellschaftlich etwas verändern.

Der Geist, der den „Leib Christi“ durchweht und von dem Paulus spricht – es ist jedenfalls kein Korpsgeist. Er ist ein Geist der Verantwortung, der Sorge und der wechselseitigen Bereicherung. Ich für meinen Teil finde, man könnte sich von deutlich schlechteren Geistern „durchtränken“ lassen.