Lebenskunst 8.6.2023, Mirja Kutzer

Bibelessay zu Johannes 6,51 – 58

Was für eine komplizierte Textstelle. Kurz nach diesen Sätzen, die Jesus im Johannesevangelium spricht, heißt es denn auch, dass die Jüngerinnen und Jünger murren. Hörbar bringen sie zum Ausdruck, dass sie die Rede Jesu „hart“, schwer verdaulich finden.

Generell wird in der Bibel ja viel gemurrt. Besonders intensiv murrt das Volk Israel, das Moses mit Gottes Hilfe aus der Sklaverei in Ägypten geführt hat und das, so erzählt es das Buch Exodus, 40 Jahre in der Wüste herumläuft. Da kann man schon einmal murren, zum Beispiel wenn man kein Brot hat – was Gott dann aber auch prompt liefert: Es fällt als Manna, als „Himmelstau“, des Nachts vom Himmel.

Mirja Kutzer
ist katholische Theologin und lehrt an der Universität Kassel

„Verbindung aufnehmen und Beziehung werden“

Die Stelle im Johannesevangelium erinnert an dieses Ereignis aus langer Vorzeit, das zu erzählen und immer weiterzuerzählen die Identität des Volkes Israel so sehr geprägt hat. Jetzt, in der Gegenwart des Textes, gibt es wieder Brot vom Himmel. Dieses Mal ist es aber anders als im erinnerten Damals in der Wüste. Das Brot, das heute vom Himmel kommt, so sagt es Jesus in einer der berühmten Selbstoffenbarungen des Johannesevangeliums, ist er selbst. Es geht auch nicht wie damals in der Wüste um den Magen und um das tägliche Überleben. Vielmehr bewirkt dieses Brot, das Jesu selbst ist, dass das Leben als Ganzes mit dem Tod nicht in ein bedeutungsloses Nichts läuft. Die Menschen, die mit Jesus verbunden bleiben, bleiben mit Gott verbunden – und diese Beziehung überdauert auch den Tod.

Schließlich, um das Bild auf die Spitze zu treiben: Die Jüngerinnen und Jünger sollen dieses Brot essen, indem sie Fleisch und Blut Jesu zu sich nehmen. In den Text, verfasst gegen Ende des ersten Jahrhunderts, fließt hier die Abendmahlstradition der frühen christlichen Gemeinden ein. Christinnen und Christen von damals bis heute essen in den Abendmahls- und Eucharistiefeiern Brot und – zumindest der Priester – trinkt den Wein in Erinnerung an die Worte, die Jesus beim letzten gemeinsamen Essen vor seinem Tod zu den Aposteln gesagt hat: „Dies ist mein Fleisch und mein Blut.“ Für geübte Christinnen und Christen sind diese Worte also durchaus gewohnt. Und dennoch – sie bleiben schwer fassbar. Das Murren der Jüngerinnen und Jünger – es könnte zeitgenössisch sein.

Lebenskunst
Donnerstag, 8.6.2023, 7.05 Uhr, Ö1

Kein leicht verdaulicher Text

Gibt es eine Annäherung an diese Bilder, die nicht nur für quasi Hardcore-gläubige Ohren irgendwie verstehbar ist? Man könnte es mit Hilfe der neueren Metapherntheorien versuchen. Gemäß diesen Theorien sind sprachliche Bilder, eben Metaphern, nicht einfach eine besondere Behübschung, die Texte irgendwie literarischer und stilvoller macht. Vielmehr bringen sie Menschen dazu, Wirklichkeit mit anderen Augen zu sehen. Damit spielt Jesus bewusst. Die Jüngerinnen und Jünger sollen ihn als etwas „sehen“, das zum Leben notwendig ist, das nährt und lebendig macht. Dabei spielt die Metapher nicht allein auf der Klaviatur des Verstandes. Sie reicht tiefer in die Bereiche des Körpers und des Gefühls. Was Jesus sagt und vorlebt – die Menschen sollen es erspüren, es sich einverleiben wie richtig gutes Brot, das einen nicht nur mit Kalorien versorgt, sondern auch die Seele wärmt und das Vertrauen ins Leben stärkt.

Solche Metaphern, so sagt es die französische Philosophin Julia Kristeva, verändern nun nicht nur unseren Blick. Sie bewegen uns auch als Menschen, als Subjekte. Sie animieren dazu, die Perspektive eines anderen zu übernehmen und uns mit diesem zu identifizieren. Und vielleicht ist der Blick des anderen, in diesem Fall der Blick Jesu, dann so überzeugend, dass man dabeibleibt. Das sprachliche Bild ist so eine Art Vehikel, um Verbindung aufzunehmen – mit einem anderen, mit Jesus, mit Gott. Diese sprachliche Metapher verdichtet und verstärkt sich noch einmal, wenn Christinnen und Christen Abendmahl oder Eucharistie bzw. Kommunion feiern. Dort wird das Bild quasi leibhaftig, wenn sie tatsächlich Brot essen. Womöglich erspüren sie dabei, was Jesus gesagt hat: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm.“ Und aus dem Sprachbild ist eine Beziehung geworden.

Für den Verstand, so fürchte ich, ist der Text aus dem Johannesevangelium auch mit dieser Metapherntheorie im Rücken immer noch keine leicht verdauliche Mehlspeise. Vielleicht aber ist er zumindest für die Fantasie und das körperliche Empfinden ein wenig schmackhafter geworden und das Murren über den schwer verdaulichen Text nicht mehr ganz so laut.