Lebenskunst 18.6.2023, Karl Schauer

Bibelessay zu Matthäus 9,36-10,8

Im biblischen Text geht es wohl um Berufung, um Sendung. Doch was ist das?

Große Worte, oft leicht gesagt. Noch dazu, wenn dabei der Gott der Bibel zusätzlich ins Gerede kommt. Einfacher wäre es, darüber nachzudenken, was Berufung nicht sein kann und darf, denn letztlich geht es dabei – folgt man der christlichen Theologie – immer um eine Initiative Gottes. Und ob Gott ruft und sendet und wie er den Menschen braucht und was er ihm zumutet – ist auch für mich von jeher mit großen Fragezeichen behaftet und bleibt eine Herausforderung, noch mehr, eine Überforderung.

„Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein!“

Pater Karl Schauer
ist Bischofsvikar der Diözese Eisenstadt

Doch ich bin überzeugt: Geistliche Berufung ist niemals eine Privatangelegenheit, ein spiritueller Hochseilakt, eine Gewissheit religiös Überzeugter, eine Gottesprojektion. Die Jünger und Jüngerinnen um Jesus von Nazareth und die Frauen und Männer, die in seinem Auftrag auch heute gehen und leben, sind keine „Gottesflüsterer“.

Sie verbreiten keine frommen Sprüche und Vertröstungen, sie sind keine religiösen Besserwisser und Glaubensspezialisten, sie verordnen keine Rezepte, sind keine besseren Psycholog:innen, Therapeuten oder Gesprächspartner – jedenfalls sollen sie all das nicht sein. Sie sollen auch nicht „ihre“ Frömmigkeit leben, „ihre“ Gottesbeziehung, sie suchen nicht „ihre“ eigene Lebensverwirklichung, sondern müssen über sich hinausgehen. Der Dienst der Berufenen darf niemals das Eintauchen in eine Sonderwelt sein, die mit dem aufgeriebenen, taumelnden und gebrochenen Leben nichts mehr zu tun hat.

Von mir darf ich sagen: In jenen Lebensmomenten, in denen ich verschwenderisch, vielleicht sogar fragwürdig gelebt habe, habe ich auch meine Berufung glaubwürdiger gelebt. Das waren Glücksmomente, sie sind nicht der Normalfall des Lebens in all seiner Vielfalt und Widersprüchlichkeit und in der Begegnung mit jenen, die immer auf der Strecke bleiben.

Berufung ist auch Faszination

Berufung ist nicht ein Job mit dem Ausweis des Lohnstreifens und der Wochenstunden, sondern Hingabe, Vergeudung und Verschwendung. Sie liefert sich Gott und den Menschen aus. Sie ist kein Besitz, keine Sicherheit, sie ist keine Matura und keine Meisterprüfung, sondern ein ständiges Ringen mit dem unberechenbaren Gott, mit dem suchenden Menschen – voller Zweifel und Unsicherheiten – sie bleibt ein Stottern und Hadern. Sie bleibt aber auch eine Faszination! Wer von Gott und den Menschen nicht fasziniert ist, sollte als Seelsorgerin oder Seelsorger den Beruf wechseln, dieses Tun in Frage stellen und ein anderes Lebensmodell suchen.

Lebenskunst
Sonntag, 18.6.2023, 7.05 Uhr, Ö1

Ich glaube: Wer wagt, gewinnt! Gottes Erwählung und menschliche Freiheit sind eine dynamische und anregende Beziehung, bei der Gott und der Mensch Gesprächspartner sind. Berufung und Sendung sind keine Ausnahmezustände.

Dieses Sonntagsevangelium erzählt von der Sendung der Zwölf. Unzählige Frauen und Männer sind ihnen gefolgt, bis heute. Manche haben die Gesellschaft und die Kirche revolutioniert, auch modernisiert, sie haben den Menschen ihre Würde gegeben, sie haben Spitäler und Schulen errichtet, Bildung vorangetrieben, Kultur und Lebensräume geschaffen. Andere, die im Stillen gearbeitet und gelebt haben, sind schon vergessen. Viele haben getan, wozu Er immer noch ermutigt: Zu den Verlorenen zu gehen, an die Ränder des Lebens. Priester, Ordenschristen, Frauen und Männer, Überzeugte und Unsichere schlagen auch heute noch diesen Weg der Nachfolge ein, sie gehen über sich hinaus.

Ob ich berufen und gesendet bin? Ich weiß es nicht! Aber ich vertraue darauf und gehe weiter.