Lebenskunst 15.8.2023, Susanne Heine

Maria auf evangelisch

Ihr Evangelischen glaubt nicht an die Maria! – Das haben in meiner Volksschulzeit die Kinder zu mir gesagt und dabei ganz begeistert von der prächtigen Marienprozession erzählt.

Da ist was dran, denn die Reformation ist von den Habsburgern im Namen Marias bekämpft worden, und viele Marienkirchen stammen aus dieser Zeit. Für die Katholischen ein Symbol des Triumphs, aber für Evangelische ein Symbol der Feindseligkeit.

Susanne Heine
ist Theologin und Religionspsychologin

Das ist die eine Geschichte, die andere kaum bekannt: die Auslegungen des Magnificat, des Liedes der Maria, von Martin Luther. Er schreibt vom Blick Gottes, der nach unten schaut und nicht in die Höhe. Sein Blick fällt auf das unbedeutende Mädchen Maria und geht an Königinnen und Töchter großer Herren vorbei.

„Aber die Welt und die Menschenaugen tun das Gegenteil, sie schauen nur in die Höhe“, auf Ansehen und Pracht, schreibt Luther, auf Stars, Prominenz und Idole. Niemand will in die Tiefe schauen, „wo Armut, Not und Angst ist“. Davon wenden die meisten sich ab, ohne „zu helfen, beizustehen und zu machen“, dass diese Menschen „auch etwas sind“.

Quelle eines christlichen Lebens

Für mich ist Maria eine Schule neuen Sehens von oben nach unten, denn je weiter der Blick nach unten geht, desto größer wird das Kleine. Das ist mit Maria geschehen. Könnte das nicht auch mit den in den Augen der Welt unbedeutenden Menschen geschehen? Anderen helfen und machen, dass sie etwas wert sind, setzt das nicht voraus, selbst als wertvoll angesehen zu werden?

Es soll aber auch gesagt sein, was Maria für mich nicht ist. Ich rufe sie nicht an, bitte sie nicht, für mich einzutreten und einem strengen Richter Gott-milde zu stimmen. Die Evangelischen halten sich an das Kind Jesus Christus, den Martin Luther den Spiegel des gütigen väterlichen Herzens nennt. Darin zeigt sich Jesus, der in seinem Leben auf die Armen, Bedrückten und von der Welt Verachteten liebevoll zugeht. Im Vertrauen darauf, kann jeder einzelne Mensch direkt vor Gott treten und ohne Angst auch Schuld eingestehen.

Lebenskunst
Dienstag, 15.8.2023, 7.05 Uhr, Ö1

Glaube, eine Haltung

Jesus, das Kind der Maria, entstammt nicht dem Willen eines Mannes, sondern einem schöpferischen Akt Gottes, der aus dem, was gering, verachtet, tot ist, etwas Kostbares und Lebendiges machen kann, so Luther. Empfangen vom Heiligen Geist, geboren von der Jungfrau Maria, wird über Jesus in der Bibel gesagt, die für Evangelische die Quelle eines christlichen Lebens ist.

Bei Jesus geht es nicht um die Verschmelzung zweier Keimzellen, sondern in ihm versöhnen sich Himmel und Erde. Von Maria lässt sich lernen, erfüllte Augenblicke im Leben dankbar als Zeichen der Zuwendung Gottes zu sehen. Lässt sich das Glaube nennen? Für mich Evangelische ist Glaube jedenfalls kein Fürwahrhalten kirchlicher Lehren, sondern eine Haltung: Wie Maria vertrauensvoll etwas annehmen können, auch wenn ich den darin verborgenen Sinn nicht gleich begreife.