Lebenskunst 17.12.2023, Karl Schauer

Bibelessay zu Johannes 1,6-8.19-28

Prophetische Stimmen sind leise geworden, Prophetinnen und Propheten fehlen dieser atemlosen, oft aufgescheuchten Welt. Einer der prägendsten der biblischen Propheten, Johannes der Täufer, der Brückenbauer zwischen altem und neuem Gottesvolk, der Übergangsprophet wird zum Wegweiser in die Zukunft, so im Evangelium zum dritten Adventsonntag.

Er bleibt über seine Zeit hinaus eine adventliche Gestalt. Seine Existenz zielt auf den verheißenen Messias. Von seinen Zeitgenossen angefragt, stellt er klar, weder der Messias oder der erhoffte Prophet zu sein, sondern nur die Stimme des Rufers in der Wüste. Oder wie es Matthias Grünewald in der künstlerischen Sprache des Isenheimer Altares ausdrückt: Er ist der große Zeigefinger, der auf den Kommenden hinweist. So ist er der wortgewaltige Aussteiger, der sich weigert, mit der Logik des alten Systems und mit der Banalität seiner Gegenwart mitzuspielen. Sein prophetisches Leben wurde zu einem Schock für viele.

Die Stimme eines Rufers in der Wüste

Pater Karl Schauer
ist Bischofsvikar der Diözese Eisenstadt

Heute sind es die Wüsten der raffinierten Grausamkeiten mit den täglichen Horrormeldungen, die Kriege, der Terror, Flucht, Migration, Menschenhandel und Hunger, Zerstörung der Ressourcen und Verelendung, und zugleich die Anhäufung eines unverdienten Reichtums und einer salonfähigen Gier. Die Suche nach Schuldigen, Verdächtigungen und Verschwörungen, die Ausbeutung des Menschen, der Rückzug in virtuelle Sicherheiten, Gesprächsverweigerung, Gleichgültigkeit, Vereinsamung und Resignation gehören zu den vernichtenden Lebensrezepten. Sie verwüsten die Herzen der Menschen.

Ich bin überzeugt, diese Wüste wächst noch immer. Ich vermute sogar, die Lebenswüsten sind erbärmlicher und vernichtender geworden. Doch die Verelendung und Verwüstung des Menschen macht vor keiner Zeit halt. Der Rufer in der Wüste bleibt ein Provokateur, damals für die jüdische Tempelkaste und das römische Imperium, später für die Vertreter religiöser und imperialer Macht, in allen Zeiten und Generationen, auch für die Anwälte einer vergreisten Religion und einer auf sich bedachten, selbstgenügsamen Kirche und Gesellschaft.

Weihnachten – ein zerbrechliches Fest

Lebenskunst
Sonntag, 17.12.2023, 7.05 Uhr, Ö1

Das Rufen des Johannes ist ein Moment der Gnade, kreativ, gewagt und kühn, eine schreiende Leidenschaft für das geknickte Leben, für den entwurzelten Menschen und den heruntergekommenen Gott. Der Advent dieser Welt, die Weihnacht, mit der Gott in diese Welt eingebrochen ist, bleibt eine Revolution und eine Provokation.

Ohne die kühne Botschaft, dass der Messias einer von uns ist, ohne Bergpredigt und das christliche Gebot der Nächstenliebe, ohne Christentum mit der Kultur einer zweitausendjährigen Geschichte mit all ihren Fehlentwicklungen, wäre die Welt heute eine völlig andere.

Von diesem menschgewordenen Gott zu reden, ihn und die Menschwerdung aller nicht zu leugnen, ist für mich immer noch faszinierend. Gottes Kommen feiern die Christinnen und Christen und viele, die es nicht sind, zu Weihnachten – es bleibt ein zerbrechliches Fest. Auch ich muss zugeben: „Mitten unter euch steht einer, den ihr nicht kennt!“