Lebenskunst 6.1.2024, Elisabeth Birnbaum

Bibelessay zu Matthäus 2,1-12

Die bekannte Erzählung aus dem Matthäusevangelium wird alljährlich in vielen christlichen Kirchen am 6. Jänner gelesen, am Fest „Erscheinung des Herrn“, häufig auch als Fest der „Heiligen Drei Könige“ bezeichnet (auch wenn im Text nicht von Königen, sondern von Sterndeutern die Rede ist).

Was mir beim Lesen diesmal besonders aufgefallen ist, sind die beiden unterschiedlichen Grundhaltungen der Protagonisten angesichts einer großen, umwälzenden Neuigkeit. Da sind zunächst einmal die Sterndeuter:

Sie werden als die eigentlich handelnden Personen beschrieben. Ein wichtiges Leitwort dabei ist das Verb „sehen“. Die Sterndeuter sehen. Sie sehen den Stern aufgehen, sie sehen den Stern bei dem Kind stehenbleiben und sie sehen zuletzt das Kind und seine Mutter. Aber es bleibt nicht nur beim Sehen. Noch auffälliger als das wiederholte Sehen ist die darauffolgende Aktivität.

Ein Fest der Offenherzigkeit

Elisabeth Birnbaum
ist Theologin und Bibelwissenschaftlerin

Die Sterndeuter sind immer in Bewegung. Sie kommen von weit her, sie gehen lange Strecken, sie suchen, sie finden, sie huldigen. Und jedes Mal führt das Sehen die Sterndeuter zu ihrem Handeln. Als sie den Stern aufgehen sehen, kommen sie nach Jerusalem, um den neugeborenen König zu suchen. Als sie den Stern bei dem Kind stehenbleiben sehen, freuen sie sich und gehen ins Haus hinein. Und als sie das Kind sehen, fallen sie vor ihm nieder und bringen ihm ihre Geschenke.

Und das dritte, was mir an den Sterndeutern auffällt, ist ihre positive Grundhaltung, ihre Offenheit in vielerlei Hinsicht: Sie sind offen für einen König, der gar nicht der Ihre ist. Sie sprechen offen vor Herodes über ihre Suche. Sie zeigen ganz offen ihre Freude und Verehrung, als sie den finden, der größer ist als sie. Und sie geben offenherzig ganze Schätze her.

Neues und Unerhörtes

Lebenskunst
Samstag, 6.1.2024, 7.05 Uhr, Ö1

Die Kontrastfigur in dieser Erzählung ist Herodes. Während die Sterndeuter von der Neuigkeit mit großer Freude erfüllt werden, befällt Herodes große Angst. Angst vor Veränderung und Machtverlust. Und diese Angst macht ihn in meinen Augen blind und unbeweglich, misstrauisch und herrschsüchtig:

Herodes sieht nicht, er hört nur und erschrickt. Er geht nirgendwo hin, sondern bleibt, wo er ist. Er sucht das Neue nicht, sondern bekämpft es. Er geht nicht zu anderen Menschen, sondern lässt sie rufen oder schickt sie fort. Er handelt nicht offen, sondern ruft die Sterndeuter heimlich zu sich. Er beugt nicht sein Knie, sondern herrscht und befiehlt. Er beschenkt niemanden, sondern verteidigt das Seine mit allen Mitteln.

Zwei Reaktionen auf dieselbe Neuigkeit, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Zwei nur allzu menschliche Reaktionen auf Neues und Unerhörtes. Die Erzählung macht meines Erachtens sehr deutlich, welche davon zum Ziel führt.