Lebenskunst 7.1.2024, Johannes Modeß

Bibelessay zu 1 Kor 1,26-31

Sterne haben in den letzten Monaten viel Gesprächsstoff geboten: Im Dezember flitzten die Sternschnuppen durch den Himmel, Kekse in Sternform wurden in rauen Mengen verzehrt – und dann gibt es da noch die beiden Sterne, über die die Bibel zu diskutieren anregt.

Da gibt es jenen, der über Bethlehem stand, damals. Der über dem Stall, in dem Jesus geboren worden ist, die Ankunft einer neuen Herrschaft angezeigt hat. Jenen also, der gestern, am Epiphaniasfest, das Zentrum des Evangeliums war. Und natürlich den, der zwischen den Buchstaben steht und für manche auch Zeichen einer neuen Herrschaft ist, die ihnen ihre schöne alte Sprache zunichtemachen will. Das Gendersternchen nämlich.

Erwählte, nicht Mitgemeinte

Johannes Modeß
ist evangelischer Theologe und Pfarrer an der Wiener Stadtkirche

Über die beiden Sterne gibt es momentan besonders viel zu sagen. Ihre beiden Orte haben sich im letzten Jahr einmal mehr als Kriegsschauplätze entpuppt. Bethlehem. Und die Sprache. Ein deutscher Komiker verkauft inzwischen T-Shirts mit der Botschaft, er gendere nicht, er habe ja schließlich einen Schulabschluss. In Niederösterreich und in einigen deutschen Bundesländern ist der Genderstern offiziell vom Himmel gefallen: In behördlichen Dokumenten ist er verboten, in Schularbeiten wird er mit dem Rotstift getilgt.

In meinen Gottesdiensten ist hoffentlich von beiden Sternen etwas zu hören: Vom Stern über Bethlehem und der Geschichte, auf die er verweist. Aber auch vom Gendersternchen. Mir und anderen Pfarrer*innen, die auch diesen Stern aufblitzen lassen, wird dann manchmal vorgeworfen, wir würden uns blind und ohne Rückgrat einem scheinbaren Zeitgeist unterwerfen.

Genialer Analytiker

Lebenskunst
Sonntag, 7.1.2024, 7.05 Uhr, Ö1

Dabei habe ich das Gendern von niemand anderem gelernt als von Paulus: „Was gering ist vor der Welt und was verachtet ist, das hat Gott erwählt, was nichts ist, damit er zunichtemache, was etwas ist.“ So schreibt er es an die Gemeinde in Korinth und zeigt sich dabei als genialer Analytiker unserer Welt – und unserer Sprache.

Denn auch in unserer Sprache machen wir Menschen zu ‚Nichtsen‘: Indem wir behaupten, sie seien mitgemeint; sie seien nicht so wichtig, indem wir ihre Realitäten ausblenden. Oder auch, indem wir Bilder verwenden, die entmenschlichen. Wenn wir etwa von Flüchtlingswellen sprechen und es dabei den Gehirnen der Zuhörenden fast unmöglich machen, an Menschen zu denken.

Holt sie hervor

Und Paulus gibt uns – den Christ*innen – einen Auftrag mit: „Erinnert, wo immer ihr könnt, daran: Alle, die durch das Netz der Sprache fallen, die sind von Gott erwählt. Die Mitgemeinten, die Ausgeblendeten, die unsichtbar gemachten – Gott sieht ihre Lebensrealitäten.“

Der Genderstern erinnert zumindest an dieses, unser Dilemma: Zwischen den Buchstaben, zwischen den Zeilen unserer Sprache werden Menschen zum Verschwinden gebracht. „Holt sie hervor“, sagt Paulus und sagt, „sie sind von Gott erwählt.“

Schließlich hat auch der Stern über Bethlehem für den christlichen Glauben genau dies angezeigt: Gott selbst wäre vielleicht unsichtbar gemacht worden. Bei den üblichen Herrschaftslogiken damals wäre ein Weltherrscher im Stall übersehen worden, ein Nichts geblieben. Hätte nicht ein Stern auf ihn aufmerksam gemacht.