Lebenskunst 14.1.2024, Gerhard Langer

Bibelessay zu Johannes 1,35-42

Dieses heute in den katholischen Kirchen gelesene Evangelium stimmt mich nachdenklich.

An der Oberfläche geht es um die Nachfolge Jesu durch zwei seiner wichtigen Jünger, Andreas und Petrus, und um deren Bekenntnis zu Jesus als den Messias. Sieht man näher hin, so geht es vor allem um die Radikalität dieser Nachfolge. Was bedeutet es, in letzter Konsequenz Jesus nachzufolgen?

Wie radikal soll Nachfolge sein?

Gerhard Langer
ist katholischer Theologe und Professor für Judaistik an der Universität Wien

Der Schlüssel dazu liegt in den Worten von Johannes dem Täufer: „Seht das Lamm Gottes.“ Diese Worte, und das ist entscheidend, weisen schon auf den Tod Jesu voraus. Denn nach der Ansicht des Verfassers des Johannes-Evangeliums fand die Kreuzigung Jesu an dem Tag statt, als im Frühjahr die Lämmer für das jüdische Pessach-Fest geschlachtet wurden.

Beim Pessach-Fest wird an die Flucht der Israeliten aus Ägypten erinnert. Laut dem Buch Exodus in der hebräischen Bibel war kurz vor der Flucht das Blut des Lammes zum Schutz der Israeliten auf die Türpfosten gestrichen worden, und der Todesengel ging vorüber. Alle erstgeborenen Söhne der Ägypter jedoch starben, weil ihre Türpfosten nicht markiert waren. Wie das Blut des unschuldigen Lammes die Rettung der Israeliten bewirkt, so bewirkt nach der Ansicht des Evangelisten der Tod Jesu die Rettung der Welt von der Sünde.

Über das Schicksal von Andreas und Petrus erfährt man etwas aus der Bibel, aber mehr noch berichten spätere Überlieferungen von deren Leben und Sterben als bedingungslose Verkündiger der Botschaft Jesu. Andreas wird demnach auf einem X-förmigen Kreuz auf Befehl eines Statthalters von Achaia gekreuzigt, nachdem er, wie es heißt, dessen Frau geheilt und sie zum Christentum bekehrt habe. Das Andreaskreuz hat heute im Übrigen in ganz profaner Form Verwendung als Schild in der Straßenverkehrsordnung.

Grat zwischen Glaubenseifer und Fanatismus

Lebenskunst
Sonntag, 14.1.2024, 7.05 Uhr, Ö1

Petrus wiederum starb nach der Überlieferung ebenfalls am Kreuz, nach eigenem Wunsch mit dem Kopf nach unten. Beide Apostel beenden demnach ihr Leben als Märtyrer. Ihr Schicksal zeigt auf drastische Weise, was es bedeutet, dem Lamm Gottes nachzufolgen.

Die Geschichte des Christentums ist vor allem in den Anfängen voll der Märtyrer, aber Menschen in der Nachfolge des Jesus von Nazareth, die für ihre Überzeugungen in den Tod gingen, findet man bis in die Gegenwart. Und natürlich nicht nur im Christentum. Todesbereitschaft kennzeichnet auch andere Religionen und auch Ideologien.

Persönlich habe ich mir immer schwer getan mit dem Martyrium, ganz gleich mit welchem Hintergrund. Nicht nur, weil ich selbst gänzlich ungeeignet dafür wäre, auch, weil ich einen schmalen Grat zwischen Glaubenseifer und Fanatismus sehe, der mir Sorge bereitet. Ich halte es für unbedingt notwendig, die eigene Komfortzone zu verlassen, um für etwas, das man als richtig erkannt hat, mit großem Engagement einzutreten. Aber mich ängstigt jeglicher Fanatismus und sogar überbordender Aktivismus. Darum, ich wiederhole meine Eingangsworte, stimmt mich dieser Evangeliumstext so nachdenklich.