Lebenskunst 4.2.2024, Daniela Schwimbersky

Bibelessay zu Lukas 8,4-8

Jesus aus Nazareth, der Wanderprediger, erzählt eine Geschichte, eine Geschichte mit Botschaft. Gleichnis nennt es die Bibel. Es kommt nicht oft vor, dass Jesus die Gleichnisse, die er erzählt, auch erklärt. Zumindest werden diese Erklärungen nicht in den Evangelien wiedergegeben. Diesmal habe ich Glück…

Ganz klar sagt er: Der Same, das ist das Wort Gottes. Und das wird breitwürfig über die Welt verteilt. Nun ist es an dir, so ruft mir der Text zu. Bist du der festgetretene Weg oder die Ecke mit den Disteln? Kugeln bei dir nur Steine rum? Oder schaffst du es, das Wort Gottes aufzunehmen, wie ein guter, humusreicher Boden den Samen?

Sehnsucht nach einem gelingenden Leben

Meine evangelischen Ohren hören den Anspruch: „Das wirst du ja wohl schaffen!“ Leistung ist gefragt. Die Bibel ist ein guter Leitfaden für ein gelingendes Leben. Diesem Samen zu hundertfacher Frucht zu verhelfen, das ist doch ein Ziel, für das sich der Einsatz und die Anstrengung lohnen.

Daniela Schwimbersky
ist evangelische Theologin, Pfarrerin und Gefängnisseelsorgerin in und für Wien

Ich arbeite als Seelsorgerin im Gefängnis. Dort treffe ich Menschen, die Fehler gemacht haben, zum Teil schreckliche Fehler. In der Begleitung erlebe ich immer wieder, wie groß die Sehnsucht nach dem Wort Gottes ist, nach diesem Gelingen des Lebens. Aber der Lebensboden ist oft hart und steinig und voller Disteln. Hier hat der Same doch keine Chance. Hopfen und Malz scheinen verloren. Ermitteln, verhandeln, einsperren. Da wächst nichts.

Als Christin will ich das nicht hinnehmen. Und als Theologin bürste ich die Bibel gerne mal gegen den Strich. Ich erlaube mir, Jesus misszuverstehen. Muss nicht auch jeder Mensch klein anfangen wie ein Same, hineingeworfen in diese Welt? Der Same hat keinen Einfluss, auf welchen Teil des Ackers er fällt. Genauso zufällig fallen Menschen in gute oder gewaltbereite Familien, werden in tolerante oder radikale Gesellschaften geboren, in Kriegs- oder in Friedenszeiten.

Es benötigt einen guten Boden zum Wachsen

Im Gefängnis höre ich Lebensgeschichten vom Zertretenwerden auf Lebenswegen, von Steinen und Durststrecken, von gescheiterten Beziehungen und Gewalterfahrungen. Viele Täter:innen sind auch Opfer. Dass die Pflanzen, die hier aufgehen, krumm und schief wachsen, wundert mich nicht. Wieviel Liebe bräuchte es, wieviel Sorgfalt und Pflege, um diesen Pflänzchen die Möglichkeit zu geben, sich trotz des schlechten Bodens nach dem Licht zu strecken.

Lebenskunst
Sonntag, 4.2.2024, 7.05 Uhr, Ö1

Wenig ist davon im Gefängnis möglich, und trotzdem erwartet die Gesellschaft, dass Menschen nach der Haft selbst zum guten Boden werden. Dass sie sich eingliedern, straffrei bleiben und im besten Fall ein wertvolles Mitglied der Gesellschaft sind.

Das Bild des Sämanns aus der Geschichte Jesu ist alt. Dass jeder Same einen guten Boden zum Wachsen braucht, hat sich in den letzten 2000 Jahren aber nicht geändert. Mal werden Menschen geworfen, ein Same mit der Sehnsucht, zu wachsen. Und mal sind Menschen der steinige, harte Boden, auf dem nur die Disteln aufgehen. Gott sei Dank gibt es aber Menschen, die zum guten Grund werden, der Menschen und dem Wort Gottes zu hundertfacher Frucht verhilft.