Lebenskunst 7.4.2024, Mirja Kutzer

Aspekte der Bibel – 1 Joh 5,1-6

Ein unbekannter Verfasser schreibt am Ende des 1. Jahrhunderts nach Christus einen Brief, ohne einen Absender anzugeben.

In der Bibelwissenschaft wird er oft und nicht ganz unumstritten einer „johanneischen Schule“ zugeordnet – einem Gemeindeverband früher Christinnen und Christen, die eine eigene Sprach- und Denkwelt entwickelt hatten. Aus dieser Schule stammen auch das Johannesevangelium und die beiden anderen Johannesbriefe. Vermutlich in Ephesus abgefasst, enthält der Text zentrale Überzeugungen dieser Tradition. Die Liebe zu Gott, so der Hauptgedanke, ist nicht allein ein innerliches, spirituelles Geschehen. Vielmehr verbinden sich im Glauben an Jesus, den Christus, die Liebe zu Gott und die Liebe zwischen den Menschen.

Weil Liebe mehr ist

Nicht immer ist Liebe eine Sache großer Worte. Wenigstens in meinem Alltag sind es meist die kleinen Gesten…. ein Kuss im Vorbeigehen. Der Kakao am Morgen für meine Tochter, in den sie seit frühester Kindheit tief ihre Nase versenkt, und danach krabbelt sie auf meinen Schoß. Eine Umarmung zur Begrüßung eines mir lieben Menschen. Diese kleinen Gesten von Zärtlichkeit und Liebe… Sie erscheinen wie erschlagen von den großen Worten, die im 1. Johannesbrief hier ineinandergeflochten sind.

Mirja Kutzer
ist katholische Theologin und lehrt an der Universität Kassel

Liebe geht einher mit Glauben, Wahrheit, Geboten, mit Sieg über die Welt. Ihre Zeichen sind das Wasser der Taufe und das Blut, das Jesus am Kreuz vergossen hat, um – nach christlicher Überzeugung – die Menschen zu erlösen und ihnen Gottes Liebe nahe zu bringen. Denn in einer Welt, die damals ebenso wie heute voller Hass und Gewalt ist, ist dies die größte Liebe – so heißt es vorher im Text: das Leben hinzugeben für die Freunde.

„Gottes Gebote sind nicht schwer“

Schon bin ich kurz davor, mich von dem Text zurückzuziehen. Zu anstrengend scheint mir gerade die johanneische Theologie, zu hoch der Anspruch. Ich bleibe dann doch noch an einem Halbsatz hängen – „Gottes Gebote sind nicht schwer“. Für den Verfasser des 1. Johannesbriefs bedeutet, die Gebote zu halten, keine Liste an Vorschriften zu befolgen, sondern die adelphoi, die Brüder, die Geschwister zu lieben.

Lebenskunst
Sonntag, 7.4.2024, 7.05 Uhr, Ö1

Lieben, agapein, meint hier nicht das große Gefühl, das wir im Deutschen oft damit verbinden. Im Blick ist das konkrete Leben in der Gemeinde, das von affektiver Zuwendung getragen sein soll. Es geht um gegenseitige Wertschätzung bei allen Unterschieden in Persönlichkeit und sozialer Herkunft. Es geht auch um soziale Unterstützung.

Anders als bei Paulus ist hier nicht immer gleich die ganze Welt mitgemeint, und so wichtig dieser paulinische Universalismus ist, … gerade in unseren immer komplexer werdenden Lebenswelten tut mir auch diese Wertschätzung des Nahebereichs gut: Denn wie soll sich die große Welt ändern, wenn wir in unserer unmittelbaren Nähe mit unseren einfachen Gesten von Liebe und Zärtlichkeit keine Räume schaffen, in denen wir einfach sein können.