Lebenskunst 28.4.2024, Wolfgang Treitler

Aspekte der Bibel – Johannes 15,1-8

Der Abschnitt des Johannesevangeliums, der am 28. April in den katholischen Kirchen gelesen wird, findet sich im Zentrum der sogenannten Abschiedsreden Jesu, die die Kapitel 13-17 umfassen.

Im Johannesevangelium, verfasst gegen Ende des ersten Jahrhunderts, wird diese lange Rede als eine Art Selbstdeutung im Mund Jesu dargestellt. Ihre Funktion besteht darin, dass sich die Gemeinden so eng wie möglich an Jesus binden.

Ich gestehe: Die Abschiedsreden sprechen mich wenig an. Sie wiederholen vieles oder sagen es auf andere, aber ähnliche Art und drehen sich häufig wie in einem Kreis.

Wolfgang Treitler
ist katholischer Theologe und Judaist

Da kann man sich manchmal wie ein begriffsstutziger Mensch fühlen, dem man in einem langen Monolog die ständig gleichen Worte ins Hirn hämmern muss. Doch manchmal blitzt in diesen Reden ein kraftvolles Bild auf, das Jahrhunderte alt ist und in die Gegenwart reicht.

Der Vergleich Jesu mit dem Weinstock ist ein solches Bild, das auch aus anderen Schriften bekannt ist: Eine judenchristliche Quelle aus dem 1. Jahrhundert, die sogenannte Didache, dankt Gott für Jesus, den Messias, der „der heilige Weinstock aus König Davids Geschlecht“ ist.

Lebenskunst
Sonntag, 28.4.2024, 7.05 Uhr, Ö1

Jeden Schabbat steht am Tisch einer Familie ein Becher mit gesegnetem Wein, jeden Sonntag ein Becher mit Wein am Altar christlicher Kirchen. Deshalb bedeutet für mich die Rede vom Weinstock eine ganz starke Verbindung, die christliche Gemeinschaften mit Israel über Jesus haben. Diese Verbindung fasziniert mich; sie ist der Kern meines Christentums.