Lebenskunst 28.4.2024, Herbert Maurer

Worte, nicht Wörter

Zum 150. Geburtstag von Karl Kraus. Stellen Sie sich vor: Karl, einer der klügsten Kritiker der Scheinheiligen, der Frömmler und der Kerzerlschlucker steht eines Tages im Jahre 1911, als „die Welt noch in Ordnung“ war,…

… mit einer Kerze in der Hand in der Kirche des Heiligen Karl (Borromäus, des Pestheiligen) und lässt sich taufen. Was ist dem Fackel-Kraus da eingefallen?

Herbert Maurer
ist Autor und Übersetzer

Von Kirchenpäpsten und Presse-Päpsten

Und später? Einer seiner besten Freunde im Geiste, Prälat Leopold Ungar, nach den Kriegs-Katastrophen des vergangenen Jahrhunderts die Stimme der Caritas in Österreich, versuchte in seinem Buch „Die Weltanschauung Gottes“ eine Antwort: Wenn einem nichts mehr heilig ist, bleibt nur noch das Wort, der Logos: Die Präzision und der Mut, Dinge und Menschen beim Namen zu nennen – Logos und Christus, das kennen viele aus der christlichen Theologie, aus der sogenannten Heilsgeschichte, die oft so unheilvoll verlief und immer noch verläuft.

Es bleibt das kritische Wort – dort, wo die Pest der Propaganda ihr Unwesen treibt, wo die Kirchenpäpste zu Presse-Päpsten werden und umgekehrt – wie Benedikt der Fünfzehnte im 1. Weltkrieg (nicht verwandt mit Benedikt XVI.) und der seinerzeitige Chefredakteur der Neuen Freien Presse namens Benedikt (nicht verwandt mit Rainer Nowak).

Lebenskunst
Sonntag, 28.4.2024, 7.05 Uhr, Ö1

Im Anfang war das Wort

Für Karl Kraus war klar: Worte als sinnvoller und sinnlicher Kontext, dürfen nie zu Wörtern werden, zum Geplapper der Feldkuraten beim Kanonensegnen seinerzeit oder beim Promistreicheln in den Seitenblicken des Boulevards heute – im Schatten irgendeines Doms.

Der letzte Heilige Kaiser der sterbenden Habsburgermonarchie und ihr Totengräber – ausgerechnet Karl musste er heißen (Karl der Erste und der Letzte) … ist das logisch? Manchmal hat die Logik der Geschichte eben nichts mit dem heiligen Logos zu tun. Einer wie Karl Kraus feiert bei jedem klaren, unmissverständlichen Satz – und im sehr, sehr unvollkommenen Versuch der eigenen Menschenfreundlichkeit – immer wieder Geburtstag, denn: Im Anfang war das Wort.