Härtefälle

Chalupka: Sterbehilfe in gewissen Fällen „straffrei“

Vor der Verhandlung über aktive Sterbehilfe vor dem Verfassungsgerichtshof (VfGH) haben die evangelische und die katholische Kirche das Verbot der Sterbehilfe bekräftigt. Doch der evangelisch-lutherische Bischof Michael Chalupka kann sich bei Härtefällen auch Straffreiheit vorstellen.

„Es darf nicht ‘normal’ werden, sich den Tod mithilfe eines anderen oder gar durch einen anderen geben zu lassen", sagte der evangelisch-lutherische Bischof Michael Chalupka dem Evangelischen Pressedienst. Er sprach sich für die Beibehaltung des Verbotes der aktiven Sterbehilfe aus.

Auch Beihilfe zum Suizid solle nicht zum gesellschaftlichen Normalfall werden, etwa indem Vereine Suizidhilfe anböten. Jedoch seien Gewissenskonflikte ernst zu nehmen, in denen sich sowohl Angehörige, Ärztinnen und Ärzte, aber auch Sterbewillige befänden.

Chalupka: „Straffreiheit“ in Ausnahmefällen

“Angesichts dieser moralischen Tragik braucht es eine offene Diskussion über rechtliche Regelungen, die dem Gewissen Spielraum lassen und für dramatische Ausnahmefälle Möglichkeiten der Straffreiheit vorsehen“, so Chalupka in Übereinstimmung mit einer Stellungnahme der Generalsynode aus dem Jahr 1996 sowie einer Orientierungshilfe der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa aus dem Jahr 2011.

Zwar könne Beihilfe zum Suizid nach evangelischer Überzeugung kein Rechtsanspruch sein, der sich an den Staat oder gar an Dritte richtet; jedoch gebe es existentielle Konfliktfälle, in denen Barmherzigkeit bei aufrechtem Verbot der Beihilfe zum Suizid gefragt sei. “Deshalb soll nach juristischen Wegen gesucht werden, wie in einzelnen extremen Fällen der Barmherzigkeit Genüge getan werden kann."

Bischof der Evangelischen Kirche A.B. in Österreich, Michael Chalupka,
APA/Roland Schlager
Bischof Michael Chalupka ist gegen Sterbehilfe, aber für eine Debatte über den Umgang mit besonders dramatischen Fällen

Kritik an mangelnder Palliativversorgung

„Gerade, weil die Selbstbestimmung von Menschen am Ende ihres Lebens ernst genommen werden soll, müssen die Bedingungen so sein, dass Menschen existenzielle Herausforderung des Sterbens gut bewältigen können", forderte Diakonie-Direktorin Maria Katharina Moser. Gesellschaft und Staat stünden in der Verantwortung, durch gute flächendeckende Palliativversorgung und Suizidprävention Bedingungen zu schaffen, die Menschen “wirkliche Optionen eröffnen und sie nicht in Sterbewünsche drängen".

Moser kritisierte in diesem Zusammenhang das Ausbleiben des Vollausbaus der Hospiz- und Palliativversorgung, der 2015 von einer parlamentarischen Enquete-Kommission angekündigt worden war, aber ebenso wie die Überführung der Hospiz- und Palliativeinrichtungen in die Regelfinanzierung immer noch ausständig ist.

Hilfe im Krisenfall

Berichte über (mögliche) Suizide können bei Personen, die sich in einer Krise befinden, die Situation verschlimmern. Die Psychiatrische Soforthilfe bietet unter 01/313 30 rund um die Uhr Rat und Unterstützung im Krisenfall.

Die österreichweite Telefonseelsorge ist ebenfalls jederzeit unter 142 gratis zu erreichen. Hilfe für Jugendliche und junge Erwachsene bietet auch Rat auf Draht unter der Nummer 147.

Lackner: „Allgemeinheit in Verantwortung“

Auch Österreichs römisch-katholische Bischöfe meldeten sich am Vortag der Verhandlung vor dem VfGH zu Wort und warnten vor einer Lockerung des Verbots der aktiven Sterbehilfe. „Das Leben ist wohl die kostbarste Gabe, die sich niemand selbst geben kann. Unser aller Anliegen muss es sein, kranke und sterbende Menschen medizinisch und seelsorglich zu begleiten“, so der Vorsitzende der Bischofskonferenz Erzbischof Franz Lackner. Er wies alle Ansinnen einer Lockerung des Strafrechts bei „Tötung auf Verlangen“ und „Beihilfe zum Suizid“ einmal mehr strikt zurück.

„Anfang und Ende des Lebens bedürfen der besonderen Achtsamkeit. Die Allgemeinheit steht hierin in großer Verantwortung“, hielt Lackner gegenüber der römisch-katholischen Nachrichtenagentur Kathpress fest. Und: „Wir dürfen die Menschen auf ihrem letzten, oft beschwerlichen Lebensweg nicht alleine lassen.“ Es brauche eine „Kultur der Fürsorge, des Mitleidens und der größtmöglichen Hilfsbereitschaft“, so der Vorsitzende der Bischofskonferenz. Und nochmals: „Wir dürfen den Menschen nicht aufgeben, auch dann nicht, wenn er sich selbst aufgegeben hat.“

Der Vorsitzende der Österreichischen Bischofskonferenz, Salzburgs Erzbischof Franz Lackner
APA/Roland Schlager
Erzbischof Franz Lackner lehnt Sterbehilfe in jedem Fall ab

Schönborn: „Krankheit macht verletzlicher“

Mit sehr persönlichen Worten hat sich auch Kardinal Schönborn in die Debatte eingebracht: „Krankheit macht verletzlicher. Das habe ich selbst erfahren“, so der Wiener Erzbischof. Wer in einer existentiellen Krisensituation wie Krankheit und Lebensmüdigkeit einen Sterbewunsch äußert, brauche aber keine Hilfe zur Selbsttötung, sondern menschliche Nähe, Schmerzlinderung, Zuwendung und Beistand. Nur so könne jeder Mensch sicher sein, dass er in seiner Würde auch in verletzlichen Lebensphasen geachtet und geschützt wird.

Schönborn äußert sich in einem Beitrag auf der vom kirchlichen Institut für Ehe und Familie (IEF) eingerichteten Website www.lebensende.at. Die Seite informiert über die Rechtslage zum Thema und gibt einen Überblick auf Stimmen, die sich für deren Beibehaltung aussprechen.

In seiner Freitagskolumne in der Zeitung „Heute“ hatte Schönborn zudem kürzlich geschrieben: „Das Sterben darf nicht zum Geschäft werden.“ Pflegebedürftige dürften nicht unter Druck kommen, ihr Sterben zu erbitten. Österreich sei in dieser Hinsicht bisher vorbildlich gewesen. Der „österreichische Weg“ mit Hospizen in den Spitälern, Palliativmedizin, Schmerzlinderung, menschlicher Nähe und einfühlsamer Begleitung Sterbender habe sich „bestens bewährt“.

„Stimmungsmache mit Wort Barmherzigkeit“

Der Innsbrucker Bischof Hermann Glettler bekräftigte im Interview mit der Kooperationsredaktion der heimischen Kirchenzeitungen die kirchliche Position ebenfalls. Glettler sah keinen Bedarf, an den entsprechenden Gesetzen etwas zu ändern: „Die Gesetzeslage ist nicht reformbedürftig. Es sieht so aus, als ob wir schlechte Gesetze hätten. Das stimmt nicht.“

Er habe den Verdacht, so Bischof Glettler, dass mit dem Wort „Barmherzigkeit“ Stimmungsmache betrieben werde. „Ja, wir brauchen Barmherzigkeit, um das Bruchstückhafte unseres Lebens auszuhalten und anzunehmen. Wer barmherzig ist, sieht die versteckte Bitte eines gebrechlichen oder leidenden Menschen um Mitgefühl und Begleitung“, so der Bischof wörtlich. Er ist in der Bischofskonferenz für Lebensschutzfragen zuständig.

Erwartungsdruck „endlich Schluss zu machen“

Würde am Lebensende bedeute, nicht nur als Pflegefall oder Kostenfaktor wahrgenommen zu werden. Einem möglichen Erwartungsdruck ausgeliefert zu sein, doch endlich Schluss zu machen, sei entwürdigend. Menschliche Würde liege darin begründet, „dass uns das Leben von Gott geschenkt wurde – so überraschend der Anfang war, so unverfügbar sollte auch das Ende sein“.

Was am Ende zählt, sei das, was auch schon das übrige Leben kostbar gemacht habe: „Nicht allein gelassen zu sein. Wer sich geliebt weiß, trägt das stärkste Argument für das Leben in sich – trotz aller Belastungen und Grenzerfahrungen, die niemandem erspart bleiben.“

Sterbehilfe-Verein will Verbot kippen

Für Donnerstag haben die heimischen Höchstrichter in Wien eine öffentliche mündliche Verhandlung angesetzt. Dabei geht es um vier beim VfGH mit Unterstützung des Schweizer Sterbehilfe-Vereins Dignitas eingebrachte Anträge, wonach die bestehenden Paragrafen 77 und 78 des Strafgesetzbuches – es geht dabei um „Tötung auf Verlangen“ und „Beihilfe zum Suizid“ – gelockert werden sollen.

Das Thema stand schon im Juni auf der Agenda des VfGH, wurde dann aber auf den Herbst verschoben. Zuvor hatte in Deutschland im Februar das deutsche Bundesverfassungsgericht das Verbot der „geschäftsmäßigen Beihilfe“ zum Suizid gekippt.