Enzyklika „Fratelli tutti“

Positive Reaktionen aus Österreich

Die römisch-katholische Kirche in Österreich hat positiv auf die am Sonntag veröffentlichte Sozialenzyklika „Fratelli tutti“ von Papst Franziskus reagiert.

Das neue Lehrschreiben stehe in großer Kontinuität der kirchlichen Lehre und erneuere die „revolutionäre Lehre von der einen Menschheitsfamilie“, sagte Kardinal Christoph Schönborn gegenüber Kathpress. Caritas-Präsident Michael Landau bezeichnete sie als „starken, beeindruckenden“ Text.

Die Sozialenzyklika „Fratelli tutti“ steht in großer Kontinuität der kirchlichen Lehre und erneuert die „revolutionäre Lehre von der einen Menschheitsfamilie“. Das sagte Kardinal Christoph Schönborn am Sonntag im Interview mit der Nachrichtenagentur Kathpress unmittelbar nach Veröffentlichung des neuen Lehrschreibens von Papst Franziskus.

Schönborn: „Revolutionäre Lehre“

Der Papst beschreite mit diesem Dokument einmal mehr den Weg des Dialogs, der sein Pontifikat auszeichne. „In dieser Haltung wagt Franziskus gemeinsam mit Großimam Ahmad Al-Tayyeb das Dokument von Abu Dhabi zu unterzeichnen und mit dieser Enzyklika offiziell in die Katholische Soziallehre aufzunehmen“, so der Wiener Erzbischof.

Kardinal Schönborn
APA/Barbara Gindl
Das neue Lehrschreiben erneuere die „revolutionäre Lehre von der einen Menschheitsfamilie“, so Kardinal Christoph Schönborn

Wie das Mitglied der vatikanischen Glaubenskongregation ausführte, gehöre die Lehre von der Einheit des Menschengeschlechts zum Kern des jüdisch-christlichen Glaubens und sei biblisch tief verankert. „Ein Schöpfer, ein Ursprung des Menschengeschlechts, eine Menschheitsfamilie – ohne das Wissen um diese Basis ist die Enzyklika überhaupt nicht verständlich“, sagte Schönborn.

Bereits der Philosoph Max Horkheimer habe über diese Glaubensüberzeugung gesagt: „Das ist die revolutionärste Lehre der Bibel“, so der Kardinal, der darauf verwies, dass schon im Judentum und dann im Christentum diese Lehre „eine enorme soziale Dynamik entwickelt hat. Verbunden mit Lehre von der Schöpfung ist es die Überzeugung, dass wir alle Geschwister sind, fratelli tutti.“

„Sprache des Aufstands“

Die von Papst Franziskus betonte globalen Geschwisterlichkeit werde sicherlich Kritik erfahren, zeigte sich der Kardinal überzeugt und verwies abermals auf die Geistesgeschichte.

So habe der griechische Philosoph Kelsos bereits im 2. Jahrhundert mit seiner antichristlichen Streitschrift die Lehre von der Einheit des Menschengeschlechts bekämpft und gemeint: „Das ist die Sprache des Aufstands, der Revolution“, weil damit behauptet werde, dass Römer und Barbaren dieselben Wurzeln hätten. „Genau das hat die christliche Lehre aber immer vertreten, auch wenn die christliche Praxis leider immer hinterhergehinkt ist“, so Schönborn.

„Aus dieser christlichen Überzeugung heraus wurden im 16. Jahrhundert das Völkerrecht und die Verteidigung der Rechte der Indios formuliert“, erklärte der Kardinal und fügte weiter Beispiel an. So habe William Wilberforce „aus derselben Überzeugung heraus“ im Englischen Parlament gegen die Sklaverei plädiert, Papst Pius XII. in seiner ersten Enzyklika 1939 gegen den Rassismus argumentiert, sich Papst Johannes XXIII. mit der großen Friedensenzyklika „Pacem in terris“ an alle Menschen guten Willens gewendet.

"Mit dieser christlichen Überzeugung hat Paul VI. seine große Dialogenzyklika „Ecclesiam suam" geschrieben, Papst Johannes Paul II. 1986 das Weltgebetstreffen in Assisi initiiert und die Kirche durch alle Jahrhunderte gelehrt – und Franziskus wiederholt es nachdrücklich, dass die Güter dieser Erde allen Menschen zugedacht sind“, unterstrich der Kardinal und sagte: „Der Traum der Geschwisterlichkeit und der Sozialen Freundschaft, den Franziskus vorlegt, ist daher urbiblisch, urchristlich und die Medizin für eine kranke Welt.“

„Medizin für kranke Welt“

Mitten in das Schreiben der Enzyklika „brach unerwartet die Pandemie Covid-19 aus, die unsere falschen Sicherheiten offenlegte“, zitierte Schönborn den Papst und sagte, dass es wohl erstmalig in der Menschheitsgeschichte sei, dass „ein Virus die ganze Welt in seinen Griff nimmt. Dieses Virus nötigt uns dazu, zu begreifen, dass wir wirklich eine Menschheitsfamilie sind. Es ist, als wollte uns die Natur oder der Schöpfer selber darauf hinweisen, dass wir eine solche Krise nur gemeinsam meistern können“, sagte der Kardinal.

Daher schreibe der Papst ganz deutlich in der Enzyklika: „Ich habe den großen Wunsch, dass wir in dieser Zeit, die uns zum Leben gegeben ist, die Würde jedes Menschen anerkennen und bei allen ein weltweites Streben nach Geschwisterlichkeit zum Leben erwecken“, so Schönborn, der gleichzeitig betonte: „Papst Franziskus ist mit diesem Wunsch nicht naiv, wie auch der heilige Franziskus nicht naiv war, als er uns eine dem Evangelium gemäße Lebensweise vorlebte und empfahl. Der Papst liefert in ‚Fratelli tutti‘ gewissermaßen die Roadmap für diese dem Evangelium gemäße Lebensweise.“

Franziskus mache sich freilich keine Illusionen, dass dieser Weg nicht ohne Schwierigkeiten umzusetzen wäre. Schönborn: "Das Haupthindernis benennt der Papst ausführlich.

Es ist die Grundentscheidung in jedem Menschenleben, sich selber oder den Nächsten in den Mittelpunkt zu stellen. Nur die selbstlose Hingabe macht ein geschwisterliches Leben möglich." Es verwundere daher auch nicht, dass sich der Papst bei seinen Überlegungen zur Geschwisterlichkeit aller Menschen „nicht nur an Franz von Assisi orientiert, sondern auch an nichtkatholischen und nichtchristlichen Menschen, die die Geschwisterlichkeit aller Menschen entschieden vorgelebt haben“, schloss der Kardinal.

Der Papst beschreite mit diesem Dokument einmal mehr den Weg des Dialogs, der sein Pontifikat auszeichne, betonte Schönborn. „In dieser Haltung wagt Franziskus gemeinsam mit Großimam Ahmad Al-Tayyeb das Dokument von Abu Dhabi zu unterzeichnen und mit dieser Enzyklika offiziell in die Katholische Soziallehre aufzunehmen“, so der Wiener Erzbischof.

Bischof Krautwaschl: Einfachheit und Liebe statt Egoismus

„Die neue Enzyklika von Papst Franziskus lässt deutlich werden, wie sehr sich der Papst mit dem heiligen Franz und seiner Einfachheit verbunden weiß.“ Das hat der steirische Diözesanbischof Wilhelm Krautwaschl zum am Sonntag veröffentlichten Schreiben „Fratelli tutti“ hervorgehoben.

Die evangeliumsgemäße Liebe, die dieser Mann aus Assisi im 13. Jahrhundert vorgelebt habe, habe die Welt geschwisterlicher gemacht. „Unser Papst wird daher nicht müde, in einer erneut recht langen Enzyklika verschiedene Aspekte dessen zu erörtern, was wirkliche Liebe, die das Wesen Gottes ist, bewirkt. Dabei wird er zum erneuten Mal Mahner an alle und erinnert, jene nicht zu vergessen bei allen Bemühungen im Miteinander, die am Rand stehen“, so der Grazer Bischof in einer Stellungnahme gegenüber Kathpress.

Insgesamt sei die Enzyklika ein Aufruf, gerade aus der Pandemie mit einer geschwisterlichen Lebensweise auf allen Ebenen herauszukommen, um eine Kultur der Begegnung in unserem gemeinsamen Haus Erde zu schaffen. Krautwaschl: „‚Tutti fratelli‘ ist ein deutliches Wort wider die neu aufbrechenden Egoismen und Nationalismen, für ein wirkliches Miteinander und eine wirtschaftliche Vernetzung und damit gegen eine neue Einsamkeit der Menschen.“

Wer Papst Franziskus lese, wisse, dass jede Erneuerung – von Welt und Kirche – in seinen Augen von der Sendung und dem Auftrag erfolge und nicht von den Strukturen her. „Die Sendung der Kirche hinein in die Welt ist nicht Beiwerk, sondern unser Kerngeschäft. Und zur ‚Liebe‘ gilt es auch, sich täglich zu bekehren. Auch dies ruft mir der Papst in Erinnerung“, sagte der Bischof.

Caritas-Präsident Michael Landau
Caritas/Michael Appelt
Caritas-Präsident Michael Landau

Zukunft in solidarischer Gesellschaft

Die Enzyklika mache deutlich, dass „eine zukunftstaugliche Gesellschaft eine solidarische Gesellschaft sein muss“, kommentierte Landau laut Kathpress. Mit „Fratelli tutti“ lege der Papst „seine Finger tief in die Wunden unserer Gesellschaft“ und zeige auf, „wie ein soziales, politisches und wirtschaftliches Umdenken nach der Coronavirus-Krise gelingen kann.“

Insgesamt, so Landau, gehe es dem Papst darum, wofür auch die Caritas werbe – nämlich „eine neue Geschwisterlichkeit und um Solidarität als Grundhaltung in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft“.

Berufsethik für Politiker

In seiner neuen Enzyklika benennt Papst Franziskus „unverblümt die Schatten der Weltlage“ und bietet der Weltgemeinschaft für einen neuen „Weg der Hoffnung“ und der Solidarität die Begleitung der Religionen an, erklärte der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner.

 Univ.-Prof. DDr. Paul Michael Zulehner
Landwirtschaftliche Bildung Landwirtschaftliche Koordinationsstelle, Amt der NÖ Landesregierung/Jürgen Mück
Der Wiener Pastoraltheologe Paul Zulehner

Die Enzyklika enthalte zahlreiche sozial- und friedensethische Gedanken und auch eine Berufsethik für Politiker. „Fratelli tutti“ als Zitat des Heiligen Franziskus übersetze der Papst schon im Untertitel mit dem Hinweis auf die nötige „Geschwisterlichkeit“ und „Soziale Freundschaft“. „Sie sind, davon ist der Papst überzeugt, die besten Heilmittel für eine verwundete Welt“, so Zulehner in einer Stellungnahme gegenüber Kathpress.